Sega und Ryu Ga Gotoku Studio haben die Yakuza-Marke in den letzten Jahren immer stärker in den Westen getrieben und obendrein neue Plattformen bespielt, doch das täuschte die Fans nicht darüber hinweg, dass die Serie seit Jahren auf der Stelle tritt. Das neueste Yakuza-Spiel ist deshalb ein besonderer Schritt für die Reihe. In Japan ist es zwar als siebter Serienteil deklariert worden, hier in Europa weicht die Zahl jedoch dem Namenszusatz „Like a Dragon".
„Wie ein Drache" ist eine passende Beschreibung für Ichiban Kasuga, den neuen Protagonisten dieses kunterbunten, japanischen Mafia-Abenteuers. Der Held ist ein unverbesserlicher Kindskopf mit einem Herzen aus Gold und einem Kopf voller Flausen. Die jahrelange Erfahrung eines Kazuma Kiryu hat der junge Mafiosi natürlich noch nicht auf dem Buckel und deshalb ist er der ideale Anknüpfpunkt für ein neues, unverbrauchtes Publikum. Ichiban kommt dem legendären Drachen von Dojima dann aber doch in vielerlei Hinsicht sehr nahe, denn auch der junge Drachenfisch hat stets den Anspruch, all seine Aufträge mit der bestmöglichen Fürsorge zu erledigen.
Ichiban war schon von klein an ein Problemkind, doch mit viel Glück, aufrichtiger Hingabe und nicht zuletzt dank seines Dickschädels konnte er letztlich Fuß im Arakawa-Familie des kriminellen Tojo-Clans fassen. Der Aufstieg eines fleißigen Yakuza-Handlangers in der Hierarchie der japanischen Mafia ist aber nur zu Beginn des Spiels das Leitthema, denn diese charmante Geschichte hält wie gewohnt einige unvorhergesehene Wendungen für uns bereit. Allzu weit entfernt sich Yakuza: Like a Dragon letztlich also nicht von der Vorlage.
Yakuza: Like a Dragon unterscheidet sich nicht nur in seinem zentralen Helden von den bisherigen Installationen der Reihe. Der größte Unterschied ist das JRPG-Konstrukt, das Ryu Ga Gotoku Studio der Vorlage übergestülpt hat. Ichiban wird im Laufe seines Abenteuers mehrere Verbündete gewinnen, die ihm in rundenbasierten Gefechten aushelfen. Das neue Yakuza lässt sich von Dragon Quest und seinem traditionellen Kampfsystem inspirieren, die in der Kindheit des Protagonisten ebenfalls eine zentrale Rolle gespielt haben. Deshalb prügelt sich der Gute irgendwann nicht mehr mit gewöhnlichen Straßenschlägern herum, sondern mit fantasievollen Charakterklassen basierend auf fiktionalen, japanischen Archetypen.
Sobald die Schlacht beginnt, verwandeln sich die realen Figuren in Ichibans Kopf in Fantasy-Stereotype. Die Charaktere bewegen sich zufällig und automatisch über das Schlachtfeld, wir wählen ihre Aktionen und Ziele aber selbstständig aus. Da wir während der ausufernden Angriffsanimationen immer wieder zu Quick-Time-Events aufgefordert werden (um mehr Schaden anzurichten oder weniger Schaden einzustecken), empfand ich den Wechsel vom 3D-Brawler zum reinen RPG als gar nicht so groß. Im Verlauf des Spiels erhalten wir zudem die Möglichkeit, die Mitglieder unserer Party mit unterschiedlichen Jobs neu zu spezialisieren, was taktischen Tiefgang ermöglicht (der aber eigentlich gar nicht wirklich nötig ist).
Obwohl aufgrund der Spielstruktur noch immer viel gekämpft wird, lag der Fokus der Entwickler offensichtlich nicht auf dieser Komponente. Die RPG-Systeme sind oberflächlich und insgesamt unterentwickelt, auch der immanenten Weiterentwicklung der Klassen geht schnell die Luft aus. Unter der Oberfläche bleibt Like a Dragon nämlich ein echtes Yakuza-Spiel mit gewohnt abgefahrenen Charakteren, lächerlichen Sidequests, jeder Menge schrägem Humor und Minispielen aller Couleur. Dieser Mix funktioniert nach wie vor hervorragend, auch weil uns die Geschichte sehr organisch durch die unterschiedlichen Stationen führt.
Ichiban muss in seinem neuen Leben nämlich ganz von vorne beginnen, als Bodensatz der Gesellschaft. Wir befassen uns anfangs ausgiebig mit dem Themenkomplex Obdachlosigkeit, auch das Arbeitsamt spielt eine zentrale Rolle. Wir besuchen das Job-Center regelmäßig im Zuge der Story und wechseln dort unsere Charakterklassen. Der Titel spielt im Rotlichtviertel von Yokohama, deshalb befassen sich etliche Quests mit Formen von Prostitution und obwohl die Reihe solche Themen schon früher abtastete, überraschte mich die offene Umgangsweise. Yakuza: Like a Dragon bemüht sich sehr um seine eigene Perspektive, was das Projekt sehr klar von den früheren Ablegern unterscheidet.
Der Story können wir nicht durchweg folgen, denn das Spiel macht immer wieder klar, dass wir Erfahrung sammeln sollten, ehe wir uns in den nächsten Dungeon stürzen oder einer neuen Bedrohung ins Auge sehen. Der Rotlichtdistrikt Isezaki Ijincho ist vollgepackt mit Nebenbeschäftigungen, die unter anderem die Persönlichkeit unseres Helden festigen. Wie in der Persona-Reihe können wir mit verschiedenen Aktivitäten Ichibans Persönlichkeit weiterentwickeln oder festigen, was wiederum Auswirkungen auf spezielle Skills im Kampf hat. Das ist eine schöne Einbindung, denn wir werden auf diese Weise dazu angestiftet, mehr Zeit mit dieser Spielwelt zu verbringen.
Diesem Test liegt die PS4-Version (gespielt wurde auf einer Playstation 4 Pro) zugrunde, und die konnte mich ehrlich gesagt nicht ganz überzeugen. Die Detailvielfalt der japanischen Großstadt ist zugegeben großartig, auch in den vielen Videosequenzen gibt es prinzipiell wenig, das beanstandet werden muss. Das Verhalten von Passanten, Nahaufnahmen und die Umgebungen selbst offenbaren bei genauerem Hinsehen jedoch viele Kleinigkeiten, die unschön ins Auge stechen. Ganz besonders schlimm sind die merkwürdig langsamen Laufanimationen, die mich jedes Mal den Kopf schütteln lassen. Das Spiel lädt auch relativ häufig, was mit den kommenden Next-Gen-Fassungen dann hoffentlich angenehmer über die Bühne geht.
Abgesehen davon bin ich mit dem neuen Yakuza: Like a Dragon aber durchaus zufrieden. Für meinen Geschmack schwächelt das JRPG-Kampfsystem an vielen Stellen etwas zu sehr, aber ich verstehe schon, dass Zugeständnisse gemacht werden mussten, um die Actionfans der Marke nicht noch mehr vor den Kopf zu stoßen. Dass die Entwickler überhaupt den Mut hatten, solch gravierende Änderungen an einer derart etablierten Serie vorzunehmen, ist schon für sich genommen eine beachtliche und begrüßenswerte Entscheidung. Die Geschichte des optimistischen Ichiban Kasuga dient somit in mehrerer Hinsicht als starkes Reboot, das euch in die wunderbare, kriminelle Welt der Yakuza einführt.