Ich habe wieder und wieder versagt. Der Mann donnerte auch diesmal in meine Wohnung und legte seine Hände eng um meinen Hals. Ich hatte gehofft, mit ihm argumentieren zu können, doch das, was ich bisher erfahren hatte, genügt anscheinend noch nicht. Folge ich dem falschen Faden? Sollte ich nicht vielleicht doch versuchen, mich zu verstecken? Kann ich dem Angreifer womöglich eine Falle stellen? Diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, während ich versuche alle Details zu erfassen und gleichzeitig zu überprüfen, ob ich etwas Neues gelernt habe. Am Ende dieses Versuchs umschließen die Hände des Eindringlings meine Kehle noch fester. Ich verliere das Bewusstsein und... bin plötzlich wieder zu Hause. Ich stehe in der Tür meiner Wohnung und weiß bereits, was sich in ungefähr acht Minuten an diesem Ort zutragen wird. Meine Frau summt liebevoll aus dem Badezimmer, doch ich habe nicht mehr viel Zeit, um mir einen neuen Plan auszudenken und das Schlimmste abzuwenden.
Twelve Minutes hat mir einige der besten Stunden geboten, die ich in diesem Jahr bisher in einem Spiel versenken konnte. Stellt euch das Spiel als makabre Interpretation von „Und täglich grüßt das Murmeltier" vor, allerdings bleiben nur eine Handvoll Minuten, bis wiederkehrende Ereignisse eintreten. Wir versuchen in dieser Phase zuerst verzweifelt, später entschlossen und bewusst, die nahende Katastrophe abzuwenden. Man blickt von oben auf das Geschehen und navigiert mit einem Cursor durch diese minimalistische Wohnung - genau wie damals in den guten, alten Point-&-Click-Spielen aus den Neunzigerjahren. Auf der Suche nach einem weniger dunklen Schicksal stehen uns viele Optionen zur Verfügung, deshalb müsst ihr eure Umgebung ganz genau unter die Lupe nehmen und nachdenken.
Die Prämisse von Twelve Minutes, also das Entkommen aus einer fest verschlossenen Zeitschleife, die wir immer wieder spielen, hat mich zuerst beunruhigt. Wie um alles in der Welt soll man in solch einer Umgebung unterschiedliche Herangehensweisen testen und überprüfen, ohne sich zu Tode zu langweilen? Der ehrgeizige Entwickler Luis Antonio hat allerdings eine bewundernswerte Leistung vollbracht und sichergestellt, dass die Spieler nicht das Gefühl bekommen sollten, dass der Titel ihre Zeit verschwendet. Selbst wenn ich eine Runde hinter mich gebracht habe, in der ich in Rekordzeit scheitere oder zufällig etwas in einer falschen Reihenfolge mache, habe ich das Gefühl, dabei etwas Nützliches zu lernen. Selbst wenn es nur darum geht, eine Option von der Checkliste zu streichen, all diese Infos bereiten euch auf die kommenden Spieldurchläufe vor.
Unterstützt wird das alles durch die grandiose Synchronarbeit von Hollywood-Stars wie James McAvoy in der Hauptrolle des Protagonisten, Daisy Ridley (unserer Frau) und Willem Dafoe, der einen unnachgiebigen Cop spielt. McAvoy vermittelt auf überzeugende Weise die Frustration, Angst und Wut eines Mannes, der einen Albtraum in der Unendlichkeit nacherlebt. Sein Ton ändert sich eindrucksvoll, nachdem unser Schädel zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Pistolenkugel gemacht hat, und ich nehme seiner Stimme die herzzerreißende Trauer ab, die unser Protagonist verspürt, nachdem er glaubte, endlich einen Ausweg aus seiner Situation gefunden zu haben, nur um sich dann doch wieder am Anfang der Höllenschleife wiederzufinden.
Twelve Minutes hat auch das handwerkliche Können, um diese Stimmungen optisch einzufangen. Sicher, einige Animationen können manchmal etwas steif und gestelzt sein, aber sie werden phänomenal in Szene gesetzt, wenn sie es sein müssen. Etwa wenn unsere Hauptfigur vom Verlust eines Charakters frustriert und innerlich zerstört auf den Boden schlägt oder sich verwirrt umherwirbelt, nachdem sie niedergeschlagen wurde. Diese Aktionen werden aber nicht nur technisch solide eingefangen, sie helfen McAvoys Charakter auch dabei, neue Schlüsse zu ziehen.
Unsere verfügbaren Dialogoptionen erweitern oder straffen sich im Spielverlauf je nachdem, ob wir bereits gelernt haben, wie wir eine bestimmte Reaktion oder Information hervorkitzelt. Auch Details, wie die Verwendung von Gegenständen, sind davon, etwa wenn es um etwas so Dunkles und Schreckliches wie Selbstmord geht. Das Spiel zögert übrigens nicht, solch gewalttätige Ereignisse mit abschreckender Wirkung darzustellen, sodass sensible Spieler vielleicht zweimal überlegen sollten, ob sie sich wirklich auf Twelve Minutes einlassen wollen. Dieses Spiel ist dunkler und "erwachsener", als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Was Twelve Minutes besser gelingt als vielen anderen Spielen des gleichen Genres ist, wie viel ich darüber nachgedacht habe. Auch nachdem ich das Spiel heruntergefahren hatte, dachte ich noch darüber nach, was ich möglicherweise verpasst hatte oder welche Optionen ich nicht endgültig durchgegangen bin. Man stellt häufig die gleichen Dinge an und bekommt deshalb manchmal das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. Das ist etwas, was ich seit der Veröffentlichung von The Witness im Jahr 2016 nicht mehr kannte und deshalb wollte ich hartnäckig alles herausfinden, was ich konnte. Momente, in denen ich plötzlich ein wichtiges Wort aufgeschnappt oder einen Geistesblitz erhalten hatte, fielen deshalb umso befriedigender aus. Twelve Minutes kombiniert viele der besten Teile klassischer Abenteuerspiele in einem modernen Gewand mit einem faszinierenden Konzept, das mich wirklich schwer loslassen konnte. In den Credits habe ich dann sogar entdeckt, dass es noch mehr Geheimnisse zu lösen gibt und möglicherweise auch andere Lösungen, die ich noch nicht entdeckt habe.
Twelve Minutes hielt mich von Anfang bis Ende in seinen Klauen und obwohl ich nur etwa sechs oder sieben Stunden damit gebraucht habe, um es "zu beenden", habe ich vor, wieder einzusteigen und zu sehen, was ich sonst noch finden kann (der Entwickler hat sicher nicht ohne Grund erklärt, dass man bis zu 20 Stunden Inhalt in diesem Game finden kann). Das mechanisch minimalistische Abenteuer greift das Konzept der Zeit auf elegante Art und Weise auf, das ist sicher. Zu sehen, wie die Hauptfigur mit uns lernt und langsam herausfindet, was zu tun ist, war für mich einer der Höhepunkte des bisherigen Jahres. Ehrlich gesagt habe ich in all der Zeit, in der ich hier bei Gamereactor als freier Autor arbeite, noch kein Spiel gespielt, das mich so sehr beschäftigte.
Ich halte meine Rezension kurz, denn Twelve Minutes ist ein systemisch simples Spiel und das bedeutet, dass man sehr schnell Gefahr läuft, zu viel zu verraten. Es gab in diese Titel mehrere Gelegenheiten, die mir äußerst nahe gingen und ich rate euch, diese Warnung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das Game ist nicht nur ein Beispiel für das straffe Design und die Leidenschaft eines kleinen Indie-Teams, sondern auch für das Genre der vernachlässigten Abenteuer- und Puzzlespiele an sich. Ich liebte jede Minute von Twelve Minutes und dazu zählen auch die, bei denen mich ein aggressiver Fremder immer wieder auf meinem Küchenboden erwürgte.