Jeder von uns kennt das Gefühl der Wut, doch Ellies Zorn werden nur die wenigsten Menschen nachvollziehen können. Dieser hitzige Zustand weicht in vielen Fällen nach kurzer Zeit der Scharm, doch wenn der Schmerz so tief sitzt, dass man jedes Mal erneut daran zu zerbrechen droht, dass ein unbedeutendes Ereignis die sicher geglaubte Welt erneut ins Wanken bringt, dann ist der kalte Groll ein verlockendes Ventil, das einem einen naheliegenden Ausweg aus der eigenen Misere verspricht. So zerfressen von einem einzigen Wunsch zu sein, dass man dafür nicht nur sprichwörtlich über Leichen gehen würde, sondern sogar über den eigenen Schatten springt, wer kann das in unserer Zeit denn schon von sich behaupten?
Auf Ellie, eine der beiden zentralen Protagonisten von The Last of Us: Part II, trifft das leider zu. Nachdem sie und ihr Ziehvater Joel sich in einer Enklave im friedlichen Jackson niedergelassen haben, werden die beiden von ihrer Vergangenheit eingeholt und es kommt zum Schlimmsten. Getrieben von Hass flieht Ellie mit ihrem persönlichen Geleitschutz in Richtung Seattle, um Vergeltung an den Tätern zu üben - genauso, wie diese es vor ihr getan haben. Um ihr Ziel zu erreichen wird Ellie über Leichen gehen, denn in diesem Kapitel erwartet uns ein gewaltsames und unmenschliches Unterfangen. Eines, das Ellie keine Erlösung beschert und das am Ende niemanden zufriedenstellt. Denn das ist es nicht, was Rache verspricht.
Naughty Dog schafft in The Last of Us: Part II einen atmosphärischen Rahmen, in dem dieser anhaltende Zorn plausibel wirkt. Die Menschen sind 25 Jahre nach der Apokalypse noch immer nicht sicher, auch nicht in ihren abgeschirmten Enklaven. Eine parasitäre Pilzart hat die bekannte Welt ins Chaos gestürzt, indem sie auf den Menschen übergesprungen ist und eine tödliche Pandemie losgetreten hat. Die Infizierten verlieren zuerst ihr Bewusstsein, bevor sie lebendige Lebewesen attackieren und wiederum anstecken (gelangen die kleinen Ableger des Parasiten mit Blut eines Organismus in Verbindung, ist die Infektion erfolgreich). Irgendwann wächst ihnen der Pilz aus dem Kopf und setzt eigene Sporen frei. Nach einer Weile überdeckt das biologische Material schließlich den gesamten Körper des bereits verstorbenen Wirts.
Gegen diese Monster kämpfen wir in The Last of Us: Part II, doch sie sind nicht unsere einzigen Hindernisse. In Seattle wird es Ellie mit zwei rivalisierenden Fraktionen zu tun bekommen. Die sogenannte Scars - sie selbst nennen sich Seraphiten - sind religiöse Fanatiker, die sich vom technischen Fortschritt losgesagt haben. Sie gehen leise vor und vermeiden den direkten Kontakt, um ihre Opfer heimlich zu töten. Primär kämpfen sie gegen die Militärorganisation WLF, die Seattle mit eiserner Hand kontrolliert und Verbrauchsgüter hortet. Um unser Ziel zu erreichen müssen wir beide Seiten kreuzen, was nicht einfach sein wird. Denn obwohl die hier lebenden Menschen zerstritten sind, sind sie gut organisiert und wir als Außenstehende in der Unterzahl.
Häufig muss Ellie ganz alleine durch das Dickicht schleichen, um ihren Weg fortsetzen zu können. Dabei steht uns ein beachtliches Arsenal von Handfeuerwaffen und Langwaffen zur Verfügung, das sicherstellen soll, dass wir unsere Rache auch wirklich bekommen. Stealth bleibt jedoch die primäre Spielweise, da Munition rar ist und wir sehr verletzlich sind. Wichtig ist deshalb der Einsatz von improvisierten Hilfsmitteln, wie Wurfgeschossen oder Explosivfallen, die wir jederzeit mit gesammelten Materialien herstellen können. Weil Ellie sehr flink ist, bewahrt uns ein leichtfüßiger Ausweichschritt im richtigen Moment vor Schlimmerem. Das Nahkampfsystem erinnert mich an die vereinfachten Duelle aus Hellblade: Senua's Sacrifice, da es nur die beiden Optionen angreifen und ausweichen gibt.
Spielerisch orientiert sich der Titel also stark an seinem gefeierten Vorgänger, der 2013 die Playstation 3 vollendete. Im Gegensatz zum anderen großen Third-Person-Actionspiel von Naughty Dog - Uncharted - konzentriert sich The Last of Us jedoch stärker darauf, seine nahbar eingefangenen Charaktere in dieser brutal inszenierten Welt mit allen Mitteln am Überleben zu hindern. Mit Ellie auf dieser Reise zu leiden wird eine persönliche Erfahrung werden, eine die mehrmals richtig wehtut und in den besten Momenten bittersüß brennt. Obwohl diese Erfahrung manchmal sehr intensiv wird, gewährt uns Naughty Dog auch immer wieder dringend nötige Verschnaufpausen. The Last of Us: Part II ist trotzdem ganz sicher kein Spiel für jedermann - gute Laune hatte ich beim Spielen nicht. Die gezeigte Brutalität ist grenzwertig und hinterlässt ein unangenehmes Gefühl im Magen. Aber das wird es auch sein, was man empfindet, nachdem man Rache genommen hat und sich im Spiegel nicht mehr wiedererkennt.
Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad werden geübte Spieler mit vorsichtiger Spielweise ca. 25 Stunden für das Spiel benötigen. Ich empfehle erfahrenen Personen direkt eine größere Herausforderung zu suchen, weil man eher dazu angespornt wird, Umgebungen akribisch abzutasten, sich aufmerksam durch Außenposten zu bewegen und nach versteckten Bereichen Ausschau zu halten. Denn gerade das Entdecken und Freischalten von Geheimnissen ist etwas, das The Last of Us: Part II so gut wie kaum jemand sonst hinbekommt. Manchmal muss man nur ein Seil über einen Vorsprung werfen, eine Glasscheiben lautstark zerschmettern oder ein bewegliches Objekt zu einem bestimmten Ort schaffen, um am neuen Zielort eine kleine Überraschung vorzufinden. Doch weil viele dieser Umgebungsrätsel nicht offensichtlich sind, fühlt man sich mit der Lösung trotzdem richtig schlau.
Der ungewöhnliche Einsatz der Umwelt nährt das Belohnungsgefühl von Erkundungstouren. Dass jede Umgebung dabei wahrlich einzigartig wirkt, hilft diesem Entdeckerdrang ebenfalls sehr. Obwohl wir die meiste Zeit des Spiels über in der zerstörten Großstadt von Seattle unterwegs sind, lässt sich anhand jeder einzelnen Szene konkret sagen, an welcher Stelle im Spiel ihr gerade steckt. Darüber hinaus unterscheiden sich die Gebiete spielerisch auch noch voneinander. In einer Mission fahren wir mit einem Boot durch überflutete Stadteile, in einem anderen Level reiten wir durch Straßenzüge und suchen unterwegs nach Ressourcen. Worauf Naughty Dog außerdem geachtet hat ist, dass wir dabei keine Zeitnot haben. Denn obwohl wir stets ein klares Ziel vor Augen haben, heißt das nicht, dass wir nicht abseits der Hauptwege nach Hilfsmitteln Ausschau halten können.
Technisch gesehen ist The Last of Us: Part II sicherlich eines der beeindruckendsten Spiele dieser Konsolengeneration. Ellie ist sehr flink, doch sie hat eine eigene Masse in dieser Welt, weshalb sich ihre Animationen der Umgebung kontextsensitiv anpassen. Ihr werdet in The Last of Us: Part II nicht auf duplizierte Feinde treffen, selbst das Fell der Spürhunde unterscheidet sich in der Maserung voneinander. Feinde nennen sich beim Namen, sie trauern über ihre Verbündeten und blicken auf höheren Schwierigkeitsgraden auch mal unerwartet über die eigene Schulter, wenn sie sich beobachtet fühlen. Oft haben unsere Begleiter einen schlauen Spruch auf Lager, mit dem sie unsere Aktionen kommentieren und sogar Ellies Gedanken können wir hören, wenn ihr etwas auffällt. Das fällt auch in der deutschen Sprachausgabe positiv auf, obwohl mir die englische Originalfassung besser gefällt.
Was ich ebenfalls sehr zu schätzen weiß ist, wie sehr das Marketing von The Last of Us: Part II mit der Erwartungshaltung der Spieler spielt. Die bisher gezeigten Film- und Spielszenen sind mit großer Sorgfalt gewählt und so präsentiert worden, wie ihr das vielleicht gesehen habt. Wer sich das Werbematerial angeschaut hat, hat davon keine Vorteile und ihr könnt das Spiel auch ohne Trailer vollständig genießen. Dennoch beweist die akribische Planung von Naughty Dog, wie viele Gedanken sich die Verantwortlichen bei der Präsentation dieses Spiels gemacht haben müssen. Das ist natürlich nichts, was dem Titel einen höheren Wertungsgehalt attestiert, doch man sieht dem Endprodukt diese Voraussicht an vielen weiteren Stellen an.
Erzählerisch ist The Last of Us: Part II jedenfalls in sehr deutlich voneinander abgegrenzte Kapitel und Abschnitte unterteilt, was das Spielerlebnis angenehm portioniert. Es hält die Erfahrung allerdings auch in einem ganz bestimmten Tempo, das einige meiner Kollegen als zu langsam empfinden. Tolle Schauspieler beweisen uns in den fein säuberlich angefertigten Videosequenzen, dass selbst emotionslose Killer leidenschaftliche Gefühlsausbrüche haben und sich einander öffnen können. Und obwohl das im krassen Gegensatz zum ultrahohen Gewaltgrad des Spiels steht, schließt es sich in dieser einzigartigen Welt eben nicht aus. Ellie schneidet ihren Feinden mit großer Abscheu die Kehle durch und beißt dabei aus Ekel die Zähne zusammen, denn es ist nun einmal das, was sie zum Überleben und zum Erreichen ihrer Ziele machen muss. Das bedeutet nicht, dass sie empathielos ist oder dass das Morden spurlos an ihr vorbeigeht.
Über mein Fazit zu The Last of Us: Part II habe ich sehr lange nachdenken müssen und ich bin noch immer nicht ganz glücklich damit. Dem spielerischen Grundgerüst gelingt es mit seiner Kombination aus taktischen Stealth-Sequenzen, den improvisierten Kämpfen und den regelmäßigen ruhigeren Szenen, in denen wir die vielfältigen Umgebungen sorgfältig nach Ressourcen absuchen, wahnsinnig gut, uns in einer immersiven Gameplay-Schleife zu halten. Das Gameplay besticht ganz ohne Zweifel, während euch die Geschichte mit ihren unvorhersehbaren Wendungen überraschen und bewegen wird. Die Erzählstruktur wird nicht jedem gefallen, aber sie verrät uns in einem gemächlichen Tempo mehr über die Akteure in diesem Abenteuer und hilft dabei, diese eklige Welt zu verstehen.
The Last of Us: Part II ist eines der letzten großen Spiele auf der Playstation 4 und es leitet das Ende der aktuellen Konsolengeneration ein. Sony hat Naughty Dog viel Zeit und Geld zur Verfügung gestellt, damit das Team aus Kalifornien ein Hochglanzprodukt von höchster Güte aufbereitet. Es ist nicht makellos, allerdings muss man Fehler schon kritisch mit der Lupe suchen - während ein paar Design-Entscheidungen sicherlich Geschmackssache sind. Andere Ärgernisse lassen sich auf bekannte Probleme zurückführen, denn The Last of Us: Part II ist spielerisch kein revolutionäres Paket. Es traut sich aber mit der nötigen Sorgfalt Themen zu erkunden, vor denen andere Spiele lieber ihre Augen abwenden. Am Ende bleibt deshalb eine Erfahrung, vor der ich ehrlich gesagt nichts als Respekt empfinde - selbst wenn ich nicht glaube, dass ich dieses Werk noch einmal erleben möchte.