Haselnussbraune Augen trotzen der staubigen Welt von Neu Eden. Mit einer Wärme und Aufgeschlossenheit, die viele Menschen überhaupt nicht mehr kennen, erforscht Joule diese neue Welt. Es ist ein Ort, der von Menschlichkeit nicht mehr besonders viel hält. Wenn man bald von Recore spricht, wird so vieles diskutiert werden, aber wahrscheinlich nicht diese herzergreifende Art, mit der Joule ihre Umgebung inspiriert. Sie bemüht sich glaubhaft, mit Maschinen zusammenzuleben und in ihnen mehr zu sehen, als nützliches Werkzeug. Ihr allein gelingt es, dieser tristen Wüste durch Mitgefühl Leben einzuhauchen - und das ist mein persönliches Highlight am neuen Werk von Mega Man-Erfinder Keiji Inafune.
Die Geschichte von Recore ist einfach erzählt und bleibt lange Teile des Spiels über ein Mysterium. Wir spielen Joule, eine junge Atmosphärentechnikerin, die etwa um 2080 auf dem Planeten Neu Eden erwacht. Auf der Erde ist etwas Schreckliches geschehen und deshalb wurden Kolonialisierungsschiffe zur einer neuen Heimat geschickt. Dieser Planet ist nicht optimal, doch er hat Potenzial und liegt sehr weit von der Erde entfernt. Deshalb wurden die Insassen in einen Kryoschlaf versetzt und weite Teile des Aufbaus wurden von eigenständig denkenden KI-Kernen übernommen. Joules Vater, Dr. Thomas Adams, spielt dabei eine Schlüsselrolle als leitender Wissenschaftler. Schnell wird klar, dass auf Neu Eden überhaupt nichts nach Plan verläuft. Joule ist allein und die vielen Roboter-Helfer sind nun verdorben.
Damit Joules nicht vollkommen allein durch die staubige Landschaft von Neu Eden stiefelt, hat sie einen persönlichen Wartungsbot zur Seite gestellt bekommen. Das ist ein KI-Kern, der in einem K9-Modell steckt und auf den Namen Mack hört. Im Laufe der Geschichte werden wir weitere Gefährten freischalten, mit denen Joule die Welt ein Stück weiter erkunden darf. Allerdings ist immer nur einer davon aktiv am Gefecht beteiligt, ein zweiter Begleiter wartet in der Crew auf seinen Einsatz. Mit LB schalten wir zwischen den beiden hin und her. Das Umschalten hat eine kurze Abklingzeit und kann nicht verwendet werden, solange der aktive Bot beschäftigt ist. Ein KI-Kern kann in verschiedene Hüllen eingesetzt werden, um an unterschiedliche Aufgaben angepasst zu werden.
Ein wichtiger Bestandteil von Recore ist das Craften. An der Werkbank rüsten wir unsere Begleiter auf und das ist so ziemlich die einzige Möglichkeit, stärker zu werden. Indem wir Herausforderungen abschließen oder Schatztruhen finden, erhalten wir Konfigurationspläne, mit denen wir neue Teile für die Roboter herstellen. Mit diesen Items werden die Kernhüllen ausgestattet, um im Kampf gegen die fiesen Bots besser dazustehen. Die Grundmaterialien zum Herstellen dieser Konfigurationen finden wir auf Neu Eden, auch gegnerische Monster lassen sie manchmal fallen. Jeder zerstörte Feind hinterlässt zudem Energiekristalle, die wir zum Aufleveln der Werte der Begleiter-Bots verwenden. Wenn wir einen Energiekern extrahieren, gewinnen wir sogar noch mehr Kristalle.
Für den Spielfortschritt benötigen wir mysteriöse Energiekerne. Die prismatischen Kerne spielen in der Geschichte von Recore eine zentrale Rolle, auch wenn es dem Spiel leider nicht gelingt, einem das rechtzeitig bewusst zu machen. Wenn wir an einer Stelle nicht genügend Prismakerne haben, gibt es kein Weiterkommen. Die restlichen Exemplare müssen wir uns in Verliesen erobern oder auf der Weltkarte finden. Armature Studio zieht diesen Ansatz konsequent durch und schickt uns selbst vor einer äußerst empfindlichen Schlussszene noch einmal auf die Jagd nach weiteren Energieprismen. In solchen Situationen gibt es keinen vernünftigen, logischen Grund, einen aus dem Spielfluss zu reißen. So eine Gameplay-Entscheidung lässt sich nicht mit der Story vereinbaren. Wer also mit Scheuklappen durch das trockene Wüstenabenteuer rennt, findet sich am Ende des Spiels womöglich in einer echten Durststrecke wieder.
Das Kampfsystem setzt auf eine solide Shooter-Mechanik mit farbenfrohem Twist. Feinde leuchten in bunten Farben und signalisieren uns damit, gegen welche Angriffstypen sie anfällig sind. Wer einen Gegner mit der gleichen Farbe attackiert, fügt ihm verheerenden Schaden zu, während alle anderen Angriffstypen nur verminderte Wirkung haben. Die drei Hauptfarben verleiten dem Angriff einen Elementareffekt: Rot verursacht Verbrennungen, Gelb destabilisiert und verlangsamt, während blau eine elektrische Schockstarre auslöst. Diese Statuseffekte können auch auf Gegner übertragen werden, die resistent gegen eine bestimmte andere Farbe sind. Im späteren Verlauf des Spiels treffen wir auf Gegner, die mehr als eine Farbe verbinden. Diese Feinde sind gegen zwei der vier Schadensarten anfällig, stecken dafür in der Regel aber auch mehr ein, als gleichstufige Artgenossen.
Die Shooter-Mechanik ist reduziert und kommt mit einem automatischen Zielsystem daher, damit wir uns voll und ganz darauf konzentrieren können, Joule möglichst unbeschadet durch die gegnerischen Angriffsserien zu manövrieren. Sie lässt sich nämlich nicht aufrüsten, ihr Gesundheitswert steigt nur mit seltenen Gesundheitsupgrades. Für die grobe Action gibt es zudem die Kern-Bots, die jeweils einen eigenen Farbtypen in den Kampf bringen. Jede Kern-Hülle hat einen eigenen Spezialangriff mit kurzer Abklingzeit, um möglichst oft ordentlichen Schaden anzurichten. Gegnerische Bots laden ihre Systeme manchmal mit einem Schild auf, den wir mit einem aufgeladenen Energieschuss ausschalten. Der verbraucht zwar recht viel Munition, dafür bewirkt er einen Flächenangriff.
Wenn wir einem Feind genügend Schaden zufügen, kann Joules den KI-Kern des feindlichen Bots extrahieren. Wird die Extraktion aktiviert, beginnt ein simples Minispiel, bei dem es darum geht, das Verbindungskabel möglichst straff zu halten, ohne es durch die Spannung zu zerreißen. Während dieser Sequenz sind wir jedoch verwundbar, da sich Joules nicht von der Stelle bewegt. Wird sie getroffen, noch bevor der Kern extrahiert wurde, wird die ganze Sequenz abgebrochen.
Vom technischen Standpunkt aus gesehen liefert Recore solide ab. Die Systemanforderungen für den PC sind wahnwitzig hoch angesetzt, das Spiel werdet ihr aber auch auf leistungsschwächeren Systemen genießen können. Innerhalb eines Gebietes funktioniert die Schnellreise sofort, ansonsten sind die Ladezeiten zumindest auf dem PC human. Recore läuft auf dem PC sehr flüssig, mein Spielerlebnis war frei von Rucklern, Framerate-Einbrüchen oder Spielabbrüchen. Der Spielstil muss einem wahrscheinlich gefallen, denn er ist recht einfach, aber ich finde ihn hübsch. Armature nutzt eine beachtliche Detailtiefe und bedient ein wahrhaft fantastisches Figuren-Design. Vor allem die Mechs sind grandios geworden, leider kann man das nicht von der restlichen Welt behaupten. Die ist offenkundig zu groß geraten und entpuppt sich vielerorts als heißer Blender.
Was leider auch nicht besonders toll geworden ist, ist die musikalische Untermalung. Der Soundtrack wird häufig überspielt, abgebrochen oder ist einfach nicht da, selbiges gilt für die Tonspuren der Audio-Logs. Was hingegen sehr gelungen umgesetzt wurde, ist die Art und Weise, wie wir uns durch die Welt bewegen. Selbst kleine Plattformen erreicht man zielgerecht und auch bei hoher Spielgeschwindigkeit fühlt sich alles bis zu einem gewissen Grad kontrolliert an. Die Entwickler verdienen ein großes Lob für diese Umsetzung. Mit Doppelsprüngen und Energieschüben solche Präzision zu erreichen, das ist eine eigene Klasse.
Trotzdem kommt auch Recore nicht ohne Fehler aus. In meinem Spieldurchlauf sind mir ein paar Dinge aufgefallen, die noch dringend behoben werden müssen. Dazu zählen einige wenige Gebiete, in denen die Texturen nicht schnell genug nachladen, weshalb wir dort durch den Boden fallen. Außerdem treten vermehrt Probleme beim Auto-Zielen auf - bei schnellen Gegnerbewegungen bleibt der Cursor manchmal an Ort und Stelle stehen. Weiterhin sind die Questmarker noch nicht fertig gesetzt und führten mich deshalb das ein oder andere Mal in die Irre. Auf der Umgebungskarte dürfen wir bislang keinen Navigationspunkt setzen und bewegen uns - obwohl der Bildschirm stets mit Informationen zugekleistert wird - hauptsächlich blind durch das Terrain.
Recore macht eine Menge Spaß, das Gameplay leidet jedoch unter der einseitigen Aufmachung und der (zu) leeren Spielwelt. Das stetige Sammeln der Energieprismen fühlt sich wie ein böswilliger Zwang an, bis das Spiel dann irgendwann mit der wahren Bedeutung der Kristalle rausrückt. Es ist natürlich klar, warum Armature Studio diese Schranken einbaut. Doch mit dieser Machart tun sie wirklich niemandem einen Gefallen. Trotz der bestehenden Probleme überzeugt Recore mit einem äußerst interessanten Kampfansatz, einer schönen Bewegungsdynamik und einem wunderbaren Design. Es bietet tolle Gameplayelemente in einer futuristischen Wüstenwelt. Wer damit umzugehen weiß, kommt sicher auf seine Kosten.