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Marvel's Avengers

Marvel's Avengers

Die Geschichte ist wunderbar und das grundlegende Gameplay äußerst zufriedenstellend, doch der Mangel an Abwechslung, die lahme Ausrüstung und die technischen Probleme hindern dieses Spiel daran, sein volles Potenzial auszuschöpfen.

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Marvel's Avengers hat einen relativ rauen Weg hinter sich, seit das Spiel auf der E3-2019-Konferenz von Square Enix enthüllt wurde. Es scheint als hätten die meisten Spieler ein Einzelspielerspiel im Stile von Spider-Man oder Batman: Arkham Knight erwartet, aber die Präsentation hat Multiplayer, Mikrotransaktionen, Inhalte nach dem Start und andere Elemente ins Rampenlicht gerückt, die bei ebendiesen Spielern die "Games as a Service"-Alarmglocken ausgelöst haben. Das ist nicht gerade die Art von Spiel, die - bei allem Respekt vor den Entwicklern und Autoren solcher Titel - dafür bekannt sind, großartig erzählte Geschichten abzuliefern. Deshalb wandelte sich die Vorfreude für einen großen Teil der Spielerschaft in Skepsis um. Glücklicherweise war die Beta, die ich trotz all ihrer Mängel genossen habe, für die vielen Teilnehmer eine sehr positive Überraschung, da sowohl die Story als auch das Gameplay viel Potenzial zeigten. Ich bin froh zu sagen, dass es einige Aspekte von Marvel's Avengers schaffen, diesem Ideal tatsächlich nahe zu kommen, doch gleichzeitig verschwendet der Titel so frustrierend viel Potential in anderen wichtigen Bereichen.

Aber beginnen wir doch mit einem der besseren Aspekte des Spiels, der Geschichte. Sich auf Kamala Khan zu konzentrieren ist ein brillanter Schachzug, da ihr relativ leeres Blatt und ihre liebenswerte Persönlichkeit es leicht machen, sich mit dieser erstaunlichen Achterbahn einer Geschichte zu identifizieren und das Spektakel zu genießen. Es spielt keine Rolle, ob man ein Hardcore-Fan oder ein Neuling im Marvel-Universum ist, das hier ist eine der besten Marvel-Geschichten, die ich je in einem Medium erlebt habe. Das solltet ihr nicht verpassen, ernsthaft. Charakterentwicklung, Action, Drama, Humor, Intrigen und einige überraschend komplexe Themen sind erstklassig gelungen und zerstören viele Spiele, deren einziger Fokus auf der Geschichte liegt. Ich verstehe endlich, warum Sandra Saad, Troy Baker und die anderen Weltklasse-Schauspieler dazu gebracht werden mussten, diesem Drehbuch gerecht zu werden. Jeder einzelne von ihnen liefert sowohl in der Kinematik als auch im Gameplay überzeugende Darstellungen ab.

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Dass man in der Story und in den Nebenaufgaben die gleichen Ziele verfolgt, fühlt sich leider nicht erst nach 20 Stunden alt und lahm an. // Square Enix
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Das hier ist aber natürlich kein Walking Simulator, bei dem man die Aktion nur beobachtet. Die Avengers retten die Welt nicht durch Reden, sondern mit Schlägen, Tritten oder indem sie etwas explodieren lassen. Ich mag den Kampf sehr, obwohl es Parallelen zu stumpfen Brawlern gibt, bei denen das planlose Drücken aller Tasten häufig zum Erfolg führt. Das wird jedoch nicht in allen Kämpfen der Fall sein, immerhin ist das Marvel-Universum nicht nur mit einer beeindruckenden Anzahl von Helden gefüllt, es gibt auch eine Menge verschiedener Feindtypen, was Crystal Dynamics und Eidos Montreal voll ausnutzen. Wir treffen auf normale Fußsoldaten, Schläger mit Jetpacks, sich hin und her teleportierende Feiglinge, humanoide Roboter, Drohnen, Synthoiden, Adaptoiden, Söldner in dicken Exo-Anzügen, massive, spinnenähnliche Maschinen und einige andere nette Überraschungen, die ich euch nicht vorwegnehmen werde. Alle tragen verschiedene Arten von Waffen, die uns auf irgendeine Weise verletzen oder beeinflussen können. Deshalb ist es gut zu wissen, dass man eine Vielzahl von Optionen hat, um sich gegen diese Gegner zu wehren.

Ich habe schon in meinen Beta-Impressionen darüber gesprochen, aber hier muss es natürlich ebenfalls erwähnt werden: Jeder Charakter wird in einem eigenen Trainingsabschnitt eingeführt, in dem wir ihre oder seine Fähigkeiten voll ausnutzen können. Ms. Marvel, Hulk, Iron Man, Black Widow, Thor und Captain America nutzen die gleiche Kern-Tastenbelegung, doch sie spielen sich alle sehr unterschiedlich. Jeder von ihnen verfügt über drei individuelle Fähigkeiten mit einzigartigen Funktionen und Vorteilen für sich selbst oder für die Teamkollegen, bzw. die KI-Partner. Die meisten haben sogar eine spezielle Anzeige, die sich bei regelmäßigen Angriffen aufbaut und dazu verwendet wird, noch mehr Schaden zu verursachen. Ms. Marvel kann für mehr Schaden und höhere Reichweite ihre Arme und Füße vergrößern, während Thor seine Angriffe mit Blitzen auflädt und der Hulk in einen verheerenderen Wutmodus übergeht, der ihn gleichzeitig heilt. Ich kann fast spüren, wie die Knochen im Körper meiner Feindes bei jedem Schlag vom Hulk bersten, während die agilen Tritte, Schläge und Griffe von Black Widow ohne Frage schwächer sind, doch aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit ebenfalls Wirkung zeigen. Thor und Iron Man können fliegen, Black Widow erreicht mit ihrem Greifhaken entfernte Orte oder Feinde in der Ferne. Hulks überwindet mit der richtigen Menge Anlauf jeden Abgrund und die Fähigkeitsbäume bieten uns eine schöne Auswahl verschiedener Optionen.

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Story und der Kampf bestechen also, doch es gibt viele unpolierte Bereiche, darunter das enttäuschende Beutesystem. Die Grundlagen unserer Ausrüstung sind durchdacht, denn wir können durch eine Vielzahl von Statistiken und Verbesserungen stöbern, die unterschiedliche Spielstile unterstützen. Leider verbessern diese Gegenstände lediglich unsere statistischen Werte, wir sehen also keine optische Veränderung an unseren Charakteren. Wie lächerlich das ist, macht das Ausrüstungsmenü deutlich: Bei der Auswahl eines beliebigen Items hebt ein halbtransparenter Umriss den angelegten Gegenstand hervor - doch die Anpassung bleibt eine Illusion. Das zweite Problem besteht darin, dass es viel zu viel Müll gibt, da die wirklich guten Gegenstände verständlicherweise nur selten fallen gelassen werden. Man verbringt leider auch zu viel Zeit in den Menüs, da es kaum Anhaltspunkte dafür gibt, ob gefundene Beute besser als unsere aktuelle Ausrüstung ist oder nicht. So ziemlich jede Begegnung endet damit, dass ich die Action pausiere, um zu überprüfen, ob mein ausgerüstetes Zeug noch immer besser ist als die Dinge, die ich gerade aufgesammelt habe. Das ruiniert den Spielfluss vollständig.

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Dieses Problem nagt nicht nur an der DNA dieser Art Spiel, es behindert gleichzeitig die Motivation aufmerksamer Spieler, sich nach versteckten Beutetruhen oder Abzweigungen umzusehen. Ich verbrachte meine ersten zehn Stunden mit dem Spiel damit, jede Ecke eines Gebiets zu erkunden, und war begeistert zu sehen, dass einige Abstecher tatsächlich einige nette Überraschungen für mich bereithielten. Ein einfaches Puzzle zu lösen ist toll... bis einem klar wird, dass die Belohnung selten der Anstrengung gerecht wird. Ein bisschen Spielwährung, ein paar Ressourcen und ein neues Ausrüstungsstück zu sammeln, das wäre in Ordnung, wenn man es zwei Minuten später nicht eh wieder mit anderem Krempel ersetzen würde. Gleichzeitig muss bedacht werden, dass Umgebungen und Ziele ständig recycelt werden - das Gameplay wiederholt sich also extrem schnell.

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Marvel's Avengers ist dennoch eine der besten Geschichten dieser Videospielgeneration und deshalb kann es das Spiel leicht mit den kultigsten Beispielen im Marvel-Universum aufnehmen. // Square Enix

Es ist lächerlich, wie oft ich genau dieselbe (und ja, hier benutzen wir absichtlich das falsche Wort) AIM-Basis, Forschungseinrichtung und Waldfläche durchlaufen habe. Ich spiele viel Diablo, The Division und Borderlands, bin es also gewohnt, die gleiche Art von Umgebungen und Aufgaben zu grinden. Marvel's Avengers ist jedoch nicht so freundlich, die Spieler im End-Game mit veränderten Mechaniken oder Verbesserungen an der Spielformel zu unterhalten. Das Game weiß eben, dass das eigene Kampfsystem ziemlich gut funktioniert und daher beruht die Gameplay-Spirale einzig und allein darauf, dass man die eben immer und immer wieder hinunterrutscht. Das verhindert nur leider nicht, dass man schnell erkennt, wie oft man ein Gebiet bereits durchquert hat oder dass man wieder die gleiche Aufgabe absolvieren muss. Dass man in der Story und in den Nebenaufgaben die gleichen Ziele verfolgt, fühlt sich deshalb nicht erst nach 20 Stunden alt und lahm an. Ich mag es eigentlich nicht, Spiele miteinander zu vergleichen, aber Marvel's Avengers hätte wahrscheinlich ordentlich davon profitieren können, wenn sich die Entwickler Inspiration von Destiny eingeholt hätten. Mit der Superhelden-Fantasie hätte Crystal Dynamics schlaue Sachen anstellen können, um das Gameplay im End-Game auf faszinierende Weise zu optimieren. Doch in seiner aktuellen Form wird das Kontrollieren klar markierter Zonen, das Abwehren feindlicher Angriffswellen und das Untersuchen von "Geheimnissen", die auf der Karte deutlich markiert sind, schnell sehr langweilig.

Und nichts von alledem liegt daran, dass Square Enix euch das Geld aus den Taschen leiern will. Jedes einzelne Ausrüstungsstück kann durch einfaches Spielen verdient werden und die große Mehrheit der legendären Kostüme gibt es als Belohnung, wenn der Zufallsgenerator auf eurer Seite ist. Alternativ absolviert ihr fleißig die täglichen und wöchentlichen Missionen, spielt die Battle-Pass-ähnlichen Helden-Herausforderungskarten durch oder kauft etwas mit der Spielwährung. Einige der kosmetischen Anpassungsgegenstände sind dem Echtgeld-Shop vorbehalten, in dem man nur mit einer speziellen Premiumwährung bezahlen kann, aber davon bekommt ihr im Battle Pass mehr als genug. Wer ein wenig Zeit mit dem Spiel verbringt, der bekommt viele alternative Kostüme und kann gleichzeitig die Geschichte erleben, neue Helden ausprobieren und viele andere Dinge erledigen, ohne einen weiteren Cent ausgeben zu müssen.

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Die Weltklasse-Schauspieler liefern sowohl in der Kinematik als auch im Gameplay überzeugende Darstellungen ab. // Square Enix

Marvel's Avengers wäre für mich eine starke 8/10 auf der Punkteskala gewesen, wenn es nicht so viele technische Probleme gegeben hätte. Ausnahmsweise hat das alles mal nichts mit der Framerate und dergleichen zu tun, da die Präsentation auch in 4K-Auflösung auf der PS4 Pro großartig läuft. Was die Wertung nach unten treibt sind fehlende Dialoge, Clipping, die hinkende KI, langsame Menüs, die sich ab und zu nicht aktualisieren lassen wollen, lange Ladezeiten und viele andere kleinere und größere Pannen.

Marvel's Avengers ist dennoch eine der besten Geschichten dieser Videospielgeneration und deshalb kann es das Spiel leicht mit den kultigsten Beispielen im Marvel-Universum aufnehmen. Sowohl die Charaktere als auch die Erzählung und nicht zuletzt die vielen Sammlerstücke werden dafür sorgen, dass ich gerne noch sehr viel mehr Zeit in dieses Spiel investiere, sobald neue Inhalte hinzugefügt werden, die mich gleichzeitig in die Comics eintauchen lassen. Das erstaunliche Kampfsystem für sechs verschiedene Charaktere bringt den Spaß auf eine andere Ebene und es sorgt dafür, dass ich sicher sogar die lange Liste der technischen Probleme überleben werde (die mit der Zeit hoffentlich kürzer wird). Ich befürchte, dass das Beutesystem sein Potenzial niemals ausschöpfen wird, da es enorme Anstrengungen erfordern dürfte, das ganze System einzustampfen und ordentlich wiederaufzusetzen. Unsere Charaktere werden also niemals so aussehen, wie es sich die Fans wünschen, aber vielleicht kann ich davon träumen, dass die Entwickler zumindest den Rahmen anpassen, damit das Spielen ein wenig lohnender wird. Hoffentlich versteht das Entwicklerteam irgendwann auch, dass sie Aufgaben und Bereiche nicht immer wieder recyceln dürfen, wenn sie Spieler auf lange Sicht unterhalten wollen. Doch auch ohne diese Änderungen war und ist Marvel's Avengers ein großartiges Spiel, das ich direkt nachdem ich diese Zeilen beendet habe, weiterspielen werde.

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07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
unglaubliche Geschichte mit tollen Charakteren, erstaunlicher Kampf, viele Sammlerstücke und Geheimnisse.
-
Beutesystem funktioniert nicht, recycelte Umgebungen und Ziele, viele technische Probleme.
overall score
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