Deutsch
Gamereactor
Artikel

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Hideo Kojimas kettenrauchender Superspion fühlt sich besser denn je. Wir haben die bewegte Vergangenheit der Kultserie Metal Gear und ihres japanischen Machers ausgeleuchtet.

HQ

"Ist es das erste Mal, dass du eine Waffe auf jemanden richtest? Deine Hände zittern." Ein schweres Maschinengewehr klappert in der Hand des Soldaten. Die Person am anderen Ende des Laufs hingegen steht da wie ein Stein. Es kümmert ihn nicht, nur einen Fingerzug davon entfernt zu sein, dass sein Gehirn sich über die Zellenwand verteilt. Bevor sich der Soldat versieht, schnappt sich der Eindringling den Lauf der Waffe und verzieht seine Augen zu zwei schmalen Schlitzen. "Du Anfänger glaubst, du kannst mich erschießen?"

Ich sitze auf meinem Bett, es ist Sommer 2000 und ich bin kurz davor, mir in die Hose zu machen. Was zu Hölle war das!? Das war kein Videospiel. Oder zumindest war es ganz anders als alles, was ich bisher gesehen oder gespielt hatte. Das war kein Mario, Sonic oder Zelda. Das hier war düsterer, roher, erwachsener und gefährlicher. Es war mit Abstand das coolste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte. Seit jenem Tag im Juni waren Metal Gear und ich beste Freunde. Keiner anderen Serie ist je gelungen, was Hideo Kojimas größtes Meisterwerk schaffte. Sie weckte mein Interesse für Geschichte, Politik, für Philosophie und Sozialwissenschaften in einer Art und Weise, wie es keine reguläre Schulbildung der Welt geschafft hätte. Ich übertreibe nicht im Geringsten, wenn ich sage, dass mich die Serie wahrscheinlich zu einem besseren Menschen gemacht hat. Und jetzt bin ich am Zug, etwas zurückzugeben und die ganze Geschichte zu erzählen. Und sie beginnt, wie die meisten guten Geschichten, in Japan.

Der junge Hideo Kojima hat zwei voll berufstätige Eltern. Er ist daher oft allein zu Hause und muss sich so gut es geht um sich selbst kümmern. Sein bester Freund wurde der Fernseher, eine Art Fenster zur Welt. Kojima schaut einfach alles: Filme, Fernsehserien, Seifenopern und Dramen aus aller Welt. Er sagte einmal über sich selbst, dass er bereits Filme geschaut hat, noch bevor er überhaupt wusste, wer er eigentlich war. Und in gewisser Weise haben sie ihn erzogen und der Gesellschaft näher gebracht. Noch heute muss er den Fernseher einschalten, so bald er ein neues Hotelzimmer betritt, nur um die Einsamkeit ertragen zu können, die er in diesem Moment fühlt.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story
Werbung:

Kojima wird in Tokyo geboren, wächst aber im Westen Japans auf. Er ist der Jüngste der Familie und muss sich gegenüber seinen älteren Geschwistern oft beweisen. Einmal ertrinkt er fast, wird von einem Hund fast zu Tode gebissen und fast von einem Schnellzug überrollte. Kojima ist da fünf Jahre alt, aber er verkriecht sich nicht, sondern wendet sich der Welt der Filme zu. Die ist freundlicher und nicht so gefährlich.

Die Jahre vergehen und Kojimas Eltern stellen hohe Ansprüche an ihren Sohn. Oben auf der Liste steht natürlich ein fester Job - selbstverständlich gut bezahlt. Aber das klingt nicht sehr reizvoll für den jungen Hideo, der Künstler oder Illustrator werden will. Und sein Onkel, ein Künstler, macht die Sache nicht einfacher, denn er hat ständig mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Hideo beginnt, Geschichten zu schreiben. Lange Geschichten, die er zu Zeitungen und Magazinen schickt, in der Hoffnung, dass sie eines Tages veröffentlicht werden. So ein Skript konnte gut und gerne 400 Seiten lang sein. Es handelt sich um Sachen wie "Über den Zustand der massenhaften Kontrolle des Alterns als Ergebnis der Überbevölkerung des Planeten". Keine der Geschichten wird je veröffentlicht.

Aber Kojima verzweifelt nicht und versucht sich stattdessen daran, zusammen mit einem Schulfreund, mit einer 8-mm-Kamera Filme zu drehen. Die Themen sind gewöhnlich Polizei- oder Zombie-Geschichten. Kojima ist sofort besessen davon, während viele seiner Freunde den Frauen hinterher jagen. Er ist noch ganz am Anfang aber weiß: Er wird Filmemacher.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story
Werbung:

Trotzdem beginnt er, an der Universität von Tokyo Wirtschaft zu studieren. Seine wenige Freizeit widmet er dem Famicon, dem Nintendo Entertainment System, wie es in Europa heißt. Zu seinem Lieblingsspielen gehören Super Mario Bros. von Shigeru Miyamoto und das Adventure The Portopia Serial Murder Case von Yuji Horii. Plötzlich dämmert es Kojima in seinem kleinen Studentenzimmer. Ihm kommt in den Sinn, worüber er zuvor nie nachgedacht hat: Ein Videospiel hat auch das Potenzial für filmische Erzählungen. Spiele können Gefühle vermitteln, Geschichten erzählen - und das ist noch nicht einmal alles. Sie sind außerdem interaktiv. Nach vier Jahren Studium entscheidet er sich, komplett auf Spieleentwickler umzusatteln. Kommilitonen an der Uni sind von seinem Traum nicht besonders begeistert und sogar sein Professor bittet ihn, sich das alles noch einmal gründlich zu überlegen. Aber Kojima macht es. 1986 beginnt er mit 23 Jahren in der Heimcomputer-Abteilung von Konami MSX zu arbeiten.

Kojimas erste Zeit im Unternehmen ist ziemlich hart. Er ist noch nicht als talentierter Programmierer bekannt und keine seiner Ideen interessierten die Bosse beim Entwickler. Seine Kollegen kommen immer wieder an seinem Schreibtisch vorbei und sagen: "Hey, bring doch zumindest ein Spiel zu Ende, bevor du alles hinschmeißt." Kojima ist mehrmals kurz davor, das Unternehmen zu verlassen, aber er bleibt. Sein erster Auftrag ist die Assistenz beim Director für Pengiun Adventure, der Fortsetzung von Artic Adventure. Im Anschluss treibt er sein eigenes Projekt voran, dass er Lost World nennt.

Dabei handelt es sich um ein Kriegsspiel, in dem man eine weibliche, maskierte Kämpferin spielen soll. Allerdings lassen die Bosse von Konami das bizarre Projekt nach sechs Monaten wieder fallen. Eine unschöne Situation, aber Konami gibt dem jungen Entwickler eine letzte Chance für ein neues Kriegsspiel. Kojima kommt auf die Idee, dass man in dem Spiel auf niemanden schießt oder kämpft, sondern versucht, sich an den Feinden vorbeizuschleichen. Als Inspiration dient Gesprengte Ketten von Steve McQueen, bei dem ein paar Allierte während des Zweiten Weltkriegs versuchen, unbemerkt in ein Konzentrationslager einzudringen. Kojimas Idee ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, worum ihn seine Vorgesetzten gebeten haben. Es ist einfach hoffnungslos mit ihm. Und dennoch investiert Konami in das Projekt. Als die Produktion weit genug vorangeschritten ist, um es erstmals anzutesten, wird schnell klar: Das könnte wirklich gut werden.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Das Spiel wird schließlich auf den Namen Metal Gear getauft und erscheint 1987 für den MSX2. Wir übernehmen die Rolle von Foxhound-Special-Agent Solid Snake. Auf seiner Mission Operation Intrude N313 soll er in die Militärbasis Outer Heaven eindringen und herausfinden, was dem vermissten Foxhound-Agenten Gray Fox zugestoßen ist. Der letzte Funkspruch von Gray Fox, bevor der Kontakt abbracht, bestand aus nur zwei Worten: Metal Gear. Ganz anders als in jedem Action-Spiel zu dieser Zeit geht es bei Metal Gear nicht darum, die Feinde umzunieten.

Snake hat einen Nachteil gegenüber den Soldaten in Outer Heaven, denn er ist zu Beginn lediglich mit einem Starterkit ausgestattet, einem Päckchen geschmuggelter Zigaretten. Wird Snake von einer Wache entdeckt, wird umgehend Alarm ausgelöst. Jeder getötete Soldat wird schnell durch einen neuen ersetzt. Der Versuch einer Konfrontation ist ausweglos. Zudem ist die Militärbasis mit Infrarotstrahlen, mit Gas gefüllten Räumen, Falltüren, Minenfeldern und Bossgegnern in Form von Helikoptern und Supersoldaten ausgestattet. Und als wir dann endlich Gray Fox finden, stellt das die Welt komplett auf den Kopf.

Metal Gear ist ein freibeweglicher, monströser Nuklear-Panzer - eine Maschine, die von überall aus nukleare Sprengköpfe abschießen kann. Eine schreckliche Waffe in den falschen Händen. Hinzu kommt, dass der Koordinator für die gesamte Operation niemand anderes ist, als Snakes Mentor und Foxhound-Anführer Big Boss.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

In Metal Gear bringt Kojima alles ein, was er aus Filmen, Serien und anderen popkulturellen Zusammenhängen gesammelt hat. Es ist etwas, das er schon so lange mit sich herum trägt. Der Name Snake stammt von Kurt Russels Rolle Snake Plissken aus dem Film Die Klapperschlange. Für die Verpackung vom Spiel bedient er sich bei den Werbebildern von Terminator. Das ganze Abenteuer ist wie eine riesige Karte von Kojimas Kindheit, voller Verweise auf Filme und mittendrin in all diesen Referenzen steht Metal Gear selbst. Diese Monstermaschine wurde in Anlehnung an Japans größtes Symbol für alles entworfen, das im Zusammenhang mit Atomwaffen furchtbar und schrecklich ist: Godzilla.

Kojima dazu: "Ich bin nicht während des Zweiten Weltkriegs groß geworden, aber meine Eltern. Sie haben die Bombardierung von Tokyo erlebt und erinnern sich an die Zeit, als die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Da sind Dinge passiert, die sie niemals vergessen werden und von denen ich durch Metal Gear will, dass die Welt sie nicht vergisst."

Metal Gear ist bei Kritikern und beim Publikum gleichermaßen erfolgreich - in Japan wie auch in Europa. Ganz allein hat ein Spiel ein neues Genre für PC- und Videospiele geschaffen: die Stealth-games. Hideo Kojima hat sich vom Außenseiter bei Konami zum aufstrebenden Star gemausert. Während er an seinem nächsten Projekt arbeitet, dem Cyberpunk-Adventure Snatcher, fällt die Metal Gear-Lizenz in die Hände von Entwickler Ultra Games. Für die Reihe wird dies zu einem sehr dunklen Kapitel. Der Entwickler bauen für die NES-Version eine Menge vom Spiel um, verändern es deutlich. Außerdem produzieren sie eine eigenständige Fortsetzung namens Snake's Revenge, die aber mehr mit dem Action-Titel Contra gemein hat als mit Metal Gear. Die Fans beten, dass Kojima sich wieder mit der Serie befasst. Für ein Spiel macht er das dann auch.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Die Fortsetzung Metal Gear: Solid Snake wird zunächst nur in Japan veröffentlicht, aber sie beinhaltet alles und noch mehr von dem, was sich die Fans wünschten. Das Spiel ist in jeglicher Hinsicht größer und im Regiestuhl saß diesmal ein deutlich selbstsicherer Hideo Kojima. Das Abenteuer ist deutlich schwieriger, aber es bietet auch mehr Tiefe. Es spielt mit unseren Erwartungen und enthält eine ganze Reihe kreativer Ideen. Und darüber hinaus legt es einen ganz neuen Schwerpunkt auf die Handlung. Das Drehbuch war um ein Vielfaches umfangreicher, es gab mehr Charaktere und behandelte etliche Themen.

Metal Gear: Solid Snake ist aber dennoch gerade einmal der Prototyp für das, was noch kommen soll - irgendwann dann, wenn die Technik mit den Visionen von Kojima mithalten kann. Während der Entwicklung seines nächsten Adventures Policenauts hört Kojima von sich immer mehr erhärtenden Gerüchten über Sonys neue Konsole. Als er die enorme Hardware-Leistung der Playstation erkennt, weiß er, dass es Zeit ist, den Staub vom alten Snake zu pusten. Kojima und Konami setzten sich für die Entwicklung vom nächsten Kapitel der Metal Gear-Saga ein extremes Ziel. Sie wollen „das beste Playstation-Spiel aller Zeiten" entwickeln.

Yoji Shinkawa, der sich während der Entwicklung von Policenauts verdient gemacht hat, wird von Kojima zum Art Director befördert. Gemeinsam kreieren sie den für die Metal Gear-Serie inzwischen bekannten visuellen Stil. Der klassische, amerikanische Ton durch die G.I. Joe-artigen Soldaten und Schauplätze wird verworfen. Shinkawa verpasst dem Game eine düsterere Note, die eine markante Ost-West-Mixtur aus stilisiertem Realismus zitiert. Das Ergebnis ist so lebendig wie Werke von Yoshitaka Amano oder Frank Miller. Metal Gear Solid wird während der E3 1997 präsentiert und stellt so ziemlich jeden anderen Titel auf der Messe in den Schatten - und dazu gehören in jenem Jahr immerhin Spiele wie Banjo-Kazooie, Goldeneye, Starfox 64, Castlevania: Symphony of the Night, Final Fantasy VII und selbst The Legend of Zelda: Ocarina of Time.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

In Metal Gear Solid rebellieren die Mitglieder von Foxhound während einer Trainingsmission auf der Insel Shadow Moses vor der Küste von Alaska gegen ihre Vorgesetzten. Ihr neuer Anführer ist Liquid Snake und ihr erklärtes Ziel ist es, in den Besitz von Metal Gear Rex zu kommen - einem neuen Model des gefürchteten Atom-Panzers. Die Welt ist also wieder in Gefahr und US-Verteidigungsminister Jim Houseman bittet den ehemaligen Foxhound-Anführer Roy Campbell, sich um die Situation zu kümmern. Campbell weiß, dass es nur einen Menschen auf der Welt gibt, der es schaffen kann, Shadow Moses und die Organisation, die einst ihre Familie war, zu infiltrieren: Solid Snake.

Metal Gear Solid sind wahrscheinlich Kojimas erste Schritte in der dritten Dimension und trotzdem fühlt es sich immer noch genauso an wie immer. Die Kamera im Spiel ist fest installiert und liefert uns immer die beste, strategische Übersicht über die Lage oder eben einen wirklich wunderschönen Blickwinkel aus cineastischer Sicht. Zudem gibt es es eine Ansicht direkt durch die Augen von Snake, wodurch die Umgebung gründlicher untersucht werden kann. Das Radar-System von Snake in Metal Gear Solid wird zum Solition Radar-System aufgewertet und das ist so hoch entwickelt, dass es sogar patrouillierende Soldaten anzeigt.

Metal Gear Solid ist bis heute eines der filmreifesten Spiele, die je entwickelt wurden. Jeder einzelne Teil ist so aufwendig inszeniert, dass es immer auch ein gutes Beispiel dafür bleibt, wie man das Erzählen einer Story mit dem Gameplay verbindet. Die Euphorie, wenn es uns gelingt, unbemerkt durch einen Raum zu schleichen. Der Kampf mit Revolver Ocelot, bei dem wir die abgeschossenen Kugeln mitzählen müssen. Die Ketchup-Flasche in der Gefängniszelle. Die Begegnung mit Psycho Mantis, der unsere Memory Card ausliest und uns verrät, welche Spiele wir mögen und dem es zudem gelingt, dass sich der Dual Shock-Controller wie von Geisterhand bewegt. Das ganze Spiel ist einfach eine Aneinanderreihung von Szenen, die heute echte Klassiker sind.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Metal Gear Solid ist auch das erste Spiel, bei dem Kojima mit einem konstruierten Grundthema arbeitet. Im Fall von Metal Gear Solid ist es Genetik oder anders gesagt die Theorie darüber, welche Rolle Veerbung und welche die Umwelt spielt. Was macht uns zu dem, was wir sind? Das eigentliche Ziel der Foxhound-Deserteure ist es, den toten Körper von Big Boss in die Hände zu bekommen, um seine Gene dafür zu nutzen, eine Armee von ultimativen Supersoldaten zu züchten. Eine Armee, deren erste Söhne eigentlich bereits Solid und Liquid Snake sind. Die Handlung prophezeit eine Zukunft, in der Gene nicht länger auf das typische Modell des Stammbaums beschränkt sind, sondern sich frei verbreiten.

In jedem Fall wird Metal Gear Solid bis heute oft als das beste Playstation-Spiel gesehen. Einerseits, weil es dem Stealth-Genre zu seiner Popularität verholfen hat, aber auch für die überragenden Zwischensequenzen. Der ganze Trubel hat Hideo Kojimas Status als einer der ersten echten Autoren im Videospiel-Bereich gefestigt. In der Vergangenheit wurde dieser Begriff hauptsächlich bei Filmkritiken verwandt. Man sprach vom Autorenkino und meinte damit etwas, das die kreative Vision eines Regisseurs beschrieb - seine eigene, auffällige Handschrift. Und mit der Veröffentlichung von Metal Gear Solid beginnt das lange Warten auf einen Nachfolger.

Auf der E3 2000 ist es endlich soweit. Es wird von Anwesenden oft als einer der schönsten E3-Momente aller Zeiten beschrieben: Hideo Kojima zeigt einen über acht Minuten (!) langen, filmreifen Trailer, der Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty angekündigt. Snake stolziert über einen riesigen Tank, während russische Ultra-Nationalisten die Korridore des Schiffs entlangmarschieren und der peitschende Regen das Deck reinigt. Die Tatsache, dass sich der Trailer heute - zwölf Jahre später - noch immer majestätisch anfühlt, spricht für seine enorme Wirkung. Die Erwartungen an das Spiel erreichen ein komplett unrealistisches Niveau. Einige behaupten sogar, dass sich Kojimas Zone of Enders nur verkauft, weil ihm eine Demo von Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty beiliegt. Als der Hype seinen Gipfel erreicht, kommt die Meldung heraus, dass es keine weiteren Details über das Spiel gibt, bis es in den Handel kommt.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Und dann stellen die Terrorattacken vom 11. September 2001 die Welt auf den Kopf - auch die Entwicklung von Konamis langerwarteter Fortsetzung, die eigentlich nur wenige Monate von der Veröffentlichung entfernt ist. Das Skript für das Spiel musste wegen Unruhen im Nahen Osten schon einmal geändert werden, denn die Handlung konnte nicht wie ursprünglich geplant im Irak und im Iran spielen. Nach dem 11. September gibt es weitere, wesentliche Änderungen, die besonders das Ende von Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty betreffen. Eigentlich soll die mächtige, mobile Festung Arsenal Gear die Freiheitsstatue umreißen und dann durch das gesamte südliche Manhatten stürzen. Alle US-Flaggen werden entfernt - inklusive jener, die den Körper des letzten Endbosses bedeckt. Für einige Ersatzszenarien hat das Team zwar keine Zeit mehr, aber weil die Änderungen notwendig sind, bleibt keine Wahl.

Das Spiel, das die Fans schließlich in ihre Playstation 2 einlegen, muss trotzdem für viele noch schockierend gewesen sein. Nicht wegen des 11. Septembers, sondern weil der größte Teil von Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty ohne den Helden Solid Snake auskommt. Stattdessen hat die Hauptrolle ein neuer Charakter mit dem Codenamen Raiden. Nach der ersten Stunde glauben wir, den Tod von Snake zu erleben, an Bord jenes Schiffes, auf dem Revolver Ocelot dem US-Militär eine neue Version von Metal Gear abluchste. Nach dem Vorfall auf dem Tanker werden wir dann für die neuen Missionen mit Raiden zwei Jahre in die Zukunft gespült. Eine terroristische Gruppe, die sich selbst Dead Cell nennt, hat den US-Präsidenten James Johnson entführt und hält ihn auf der riesigen Ölplattform Big Shell gefangen.

Als Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty im November 2011 erscheint, ist es ein voller Erfolg. Weil die Kritik am Spiel aber im Laufe der Zeit nie abgerissen ist, hängt ihm dennoch der Ruf an, der schwächste Teil der Serie zu sein. Es ist ein textlastiges Abenteuer, dass zusätzlich zu den sehr langen Zwischensequenzen auch noch viele Funksprüchen beinhaltet. Kritiker behaupten, dass Kojimas Status als Regisseur im Sinne des Autorenkinos zu einer Hybris des eigentlichen Spielentwicklers wurde. Auf der Verpackung steht es sogar: „Ein Hideo Kojima-Spiel". Viele wissen nicht, was sie vom Thema des Spiels halten sollen, dass sich um Memetic-Engineering dreht und auf Richard Dawkins Theorien über Meme als kulturelle Gene fußt. Die geheime Kraft hinter den Ereignissen in Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty sind The Patriots - eine eine Gruppe von Leuten, die die Informationen der Welt filtern, kontrollieren und sie nach Belieben beeinflussen. Im Nachhinein erkennen wir, dass das Spiel mit seiner Geschichte und den Themen, die es anpackt, seiner Zeit einfach viel zu weit voraus war. Allerdings ist die Handlung auch ziemlich überfrachtet.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Der nächste Ausflug der Serie steht für Kojimas Rückkehr zu seinen Wurzeln - sowohl hinsichtlich der Geschichte als auch bei der Engine des Spiels. Es ist an der Zeit, die Geschichte vom ersten Snake zu erzählen und die vom besten Soldaten, der je gelebt hat - Big Boss. Während der Entwicklung von dem, was einmal Metal Gear Solid 3: Snake Eater werden würde, lässt Kojima außerdem bekannt geben, dass es das letzte Spiel sei, für das er die Leitung übernimmt.

Ende 2004 erscheint Metal Gear Solid 3: Snake Eater. Das Spiel geht der Geschichte des Fox-Agenten Jack (nicht zu verwechseln mit Foxhound) nach, der auch als Naked Snake bekannt ist und eines Tages der legendäre Big Boss werden wird. Es spielt 1964, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Naked Snake hat die Mission, seine frühere Mentorin The Boss zu töten, nach dem diese die Welt an den Rand des Dritten Weltkriegs geführt hat, in dem sie mit Hilfe einer US-Atombombe eine Waffenfabrik der Sowjets in die Luft gejagt hat.

Das Spielsystem von Metal Gear Solid 3: Snake Eater verlangt uns viel mehr ab und es müssen die ganze Zeit verschiedene Faktoren im Auge behalten werden. Zusätzlich zum Schleichen im Dschungel und auf anderen Flächen draußen in der Natur musste festgelegt werden, welche Tarnung an welchem Ort getragen wird. Jegliche Verletzungen, die Snake sich zuzieht, müssen mit der nötigen Fürsorge behandelt werden. Zudem gibt es mit Close Quarters Combat ein ganz neues System für den Nahkampf und der ehrwürdige Solition Radar wird durch ein deutlich primitiveres System ersetzt. Snake wird sogar dazu genötigt, zwischendurch etwas zu essen, um während der Mission erholt und auf der Hut zu sein.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Zudem erzählt Metal Gear Solid 3: Snake Eater eine Geschichte, bei der Anfänger nicht mit Notizbuch und Textmarker vor dem Fernseher sitzen müssen, um der Handlung folgen zu können. Inhaltlich werden die Ereignisse des Kalten Kriegs bearbeitet und Fragen des Relativismus und Patriotismus aufgeworfen und thematisiert. Was bedeuten nationale Grenzen, wenn am Ende doch alles nur verschiedene Geldquellen sind, die ineinanderfließen? Dieser Konflikt spiegelt sich in der Beziehung zwischen Naked Snake und The Boss wieder. Die beiden Soldaten standen einst auf der gleichen Seite, sind aber nun auf Grund des derzeitigen politischen Klimas Feinde.

Metal Gear Solid 3: Snake Eater könnte als Hideo Kojimas letztes Metal Gear-Spiel verstanden werden, denn für das nächste Spiel sollte ein anderer das schwere Erbe übernehmen. Die Anhänger waren natürlich skeptisch und die Reaktionen gingen sogar so weit, dass Konami und Kojima Productions ernsthaft gedroht wurde, darunter auch mehrere Mordandrohungen.

Am Ende kehrt Hideo Kojima tatsächlich an seinen Platz zurück, den er eigentlich räumen wollten. Aber diesmal teilt er sich seine Funktion mit Shuyo Murata, der bereits bei Zone of Enders: The 2nd Runner sein Können unter Beweis stellte und schon für Metal Gear Solid 3: Snake Eater mit Kojima zusammenarbeitete. Zwischen 2006 und 2007, während der Entwicklung des vierten Teils der Serie, wurde auch das PSP-Spiel Metal Gear Solid: Portable Ops veröffentlicht, das direkt an die Ergebnisse von Metal Gear Solid 3: Snake Eater anknüpft. Es ist im Grunde bereits das erste offizielle Spiel der Serie, dass nicht von Kojima selbst entwickelt wurde, aber von den Fans wird es eher als Appetithappen für den echten Leckerbissen Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots gesehen. Der erscheint dann auch nach drei Jahren Entwicklungszeit weltweit gleichzeitig am 12. Juni 2008 - auf den Tag genau zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Metal Gear Solid und zwanzig Jahre nach dem Release von Metal Gear.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots greift viele Themen der Serie auf. So etwa die Entfremdung als Folge der technologischen Entwicklung oder Kriegsfolgen in Form von post-traumatischen Störungen. Spielerisch feierte viele Elemente ihre Rückkehr, wenn auch in einem zeitgemäßerem Gewand. Dazu gehört etwa die Tarnung, die durch das intelligente Camouflage-System OctoCamo ersetzt wurde. In vielerlei Hinsicht ist das Gameplay auch dem westlicheren Geschmack mit seinem größeren Fokus hin zu Action, einer freien Kamera und einer optionalen Egoperspektive angepasst.

Das Spiel ist der Abgesang auf die Geschichte von Solid Snake. Es braucht endlose Stunden von Zwischensequenzen, ein unglaubliche Menge von Text sowie die komplett herunterladbare Datenbank mit dem Namen Metal Gear Solid 4 Database, um die Handlungsstränge zu entwirren, die Kojima im Laufe der Serie begonnen hat. Das Ergebnis ist ein bombastisch übertriebenes Spiel, dass es einem den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Es schwankt zwischen ernsten Themen, Weltuntergangsromantik und Generationswechsel, nur um im nächsten Moment den Fokus auf einen Affen in Unterhosen zu legen. Kojima hat die vierte Wand so oft gebrochen, dass er gut und gerne auch gleich eine Schwingtür hätte einbauen können. Und die verworrene Verschwörungsgeschichte würde selbst Erich von Däniken dazu zu bringen, sich verwirrt am Kopf zu kratzen.

Aber ob man es nun glaubt oder nicht, am Ende ist es Kojima gelungen, alle Fäden in der Hand zu behalten und zu entwirren. Jedes Teil ist an seinem Platz, auch wenn das Drehbuch wie schon in der Vergangenheit völlig überladen und durcheinander ist. Aber in dem Moment, wo Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots veröffentlicht wurde, hatte sich Kojima, ob er nun will oder nicht, für immer in seiner eigenen Kreation gefangen. Einer der kreativsten Köpfe der Spieleindustrie ist ähnlich wie ein talentierter Musiker dazu verdammt, seinen Anhängern immer und immer wieder verschiedene Versionen desselben Liedes vorzuspielen.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Bevor es an die Pläne für den nächsten Ableger der Serie geht, will Kojima nun lieber neue Ideen entwickeln, die ein junges Produktionsteam dann als volles Spiel umsetzen soll. Eine Idee ist ein Spiel über The Boss und die Cobra-Einheit während der Invasion in der Normandie. Sehr zum Ärger von Kojima trifft dieser Vorschlag auf viel Gegenwind bei Konami, aber auch bei Kojima Productions. Das neue Team fühlt sich mit der großen Verantwortung, die ihm aufgebürdet werden soll, nicht besonders wohl. Kojimas Arbeit besteht aus der eher diktatorisch definierten Funktion als kreativer Kopf, als Boss und als Produzent - und nichts kann ihn ersetzen.

"Wie für mich ein typischer Tag aussieht? Nun, nur damit es jeder weiß, die meisten Mitarbeiter bei Kojima Productions haben normale Arbeitszeiten von neun bis fünf. Aber in meinem Fall ist das anders. Ich muss mich um das tägliche Geschäft der Spielentwicklung kümmern, muss meinem Job als Produzent nachgehen und kreativ arbeiten. So gesehen habe ich drei Jobs, denen ich gleichzeitig nachgehe. Ich stehe um fünf Uhr in der Früh auf und versuche, ungefähr um halb sieben im Büro zu sein. Dann habe ich ein Meeting mit Konami, dann eins mit dem Team von Kojima Productions. Danach treffe ich neue Mitarbeiter und spreche mit ihnen über ihre zukünftige Arbeit. Das ist mein Morgen. Am Nachmittag nehme ich mir Zeit für meine eigene Arbeit. Ich lese E-Mails, bestätige Designs, schaue mir die Kosten an, arbeite an neuen Szenarien, schreibe Skripte und gehe durch das Studio, um zu überprüfen, ob jeder wirklich das macht, was er soll. Spät abends verlasse ich dann das Büro und treffe manchmal noch Kollegen aus der Branche. Dann noch Ideen sammeln, Filme schauen, Spiele spielen. Ich bin gegen Mitternacht zu Hause, gehe Twitter noch mal durch, dusche und versuche, um ein Uhr im Bett zu sein. Aber meistens wird es zwei Uhr."

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Es gibt nur wenige Menschen, die mit diesem Rhythmus leben können. Kojima hat übrigens auch Frau und Kinder - und die Balance zwischen Heim und Arbeit war oft schwierig. Hideo hat mir einmal verraten, dass er in seiner Freizeit oft mit seinem Sohn Lego spielt, weil es ihm dadurch gleichzeitig möglich ist, an neuen Leveldesigns für kommende Spiele zu arbeiten. Und wenn man sich den Rest der Spielindustrie so anschaut, dann ist Kojima wirklich arm dran, wenn er wirklich alles selbst macht. Er will jedes Detail seiner Spiele absegnen, was für gewöhnlich in der Spielentwicklung anders gehandhabt wird, weil die Leute oft in Teams arbeiten. Kojima beschreibt das so: „Ich bin wahrscheinlich ziemlich einzigartig. Ich muss immer alles selbst machen. Ich bin einer der Leute, mit dem die meisten Designer es hassen, zusammenzuarbeiten."

Um den Übergang für die Fans als auch für Kojima Productions so einfach wie möglich zu machen, wurde Metal Gear Solid 5 einfach in zwei Spiele geteilt. Eines davon ist Metal Gear Solid: Peace Walker für die PSP, das sich der Story von Big Boss in den 1970ern widmet und von Kojima produziert wurde. Und es wurde eine neue Serie für die Playstation 3 und Xbox 360 ins Leben gerufen, die von einem ganz neuem Team entwickelt wird. In deren Zentrum steht der Protagonist Raiden. Das Spiel trägt den Namen Metal Gear Solid: Rising. Das PSP-Spiel wurde veröffentlicht und war ein großer Erfolg. Und was wurde aus Metal Gear Solid: Rising? Es verschwand.

Kojimas Albtraum wurde wieder zur Realität. Das Team konnte ihn nicht ersetzen, mit dem Ergebnis, dass er Ende 2010 wieder die gesamte Zeit mit dem Projekt verbrachte. Er schickte dann die Scherben des Spiels zum japanischen Entwickler Platinum Games, die inzwischen die Entwicklung von Metal Gear Rising: Revengeance übernommen haben. Die Frage ist aber, ob Hideo Kojima jemals das tun wird, was er will und endlich seine Metal Gear-Serie los wird. In der Filmwelt wäre etwas in der Art völlig absurd. Niemand hat je ernsthaft versucht, der Nachfolger von Ingmar Bergman, Stanley Kubrick oder Akira Kurosawa zu werden. Das wäre reiner Selbstmord. Und doch ist es das, was die Fans erwarten, wenn es um Metal Gear Solid und Kojima geht.

Like a Boss: Die Metal Gear-Story

Irgendwo kann man das natürlich auch verstehen. Es gibt eben kein anderes Spiel wie Metal Gear. Krieg und Action sind sicherlich beliebte Themen. Es gibt zahlreiche wirklicht gute Vertreter aus diesem Genre, die uns alles gegeben haben - von fotorealistischen Grafiken bis hin zu süchtig machendem Paintball. Die Spiele, die noch einen Schritt weiter gehen, sind aber selten. Dafür liebe ich Metal Gear - die Serie hat keine Angst davor, ernsthaft darüber zu sprechen, wie schrecklich Krieg ist und auch keine Angst davor, uns im nächsten Moment direkt in Kämpfe mit dicken Maschinen zu werfen, ausufernde Verschwörungstheorien anzuzetteln oder altmodischen Gossenhumor rauszuhauen. Was ihre Faszination ausmacht, galt schon 1987. Es ist eine Serie, die sich tatsächlich traut, anders und einzigartig zu sein. Kojima hat keine Angst an dem Ast zu sägen, auf dem er eigentlich selbst sitzt, denn manchmal sind die Dinge einfach zu groß und zu wichtig. Das wusste er bereits vor 25 Jahren, als er Metal Gear schuf. Wir wünschen uns daher noch mindestens weitere 25 Jahre mit Metal Gear. Und mit Kojima.

Like a Boss: Die Metal Gear-StoryLike a Boss: Die Metal Gear-StoryLike a Boss: Die Metal Gear-Story


Lädt nächsten Inhalt