Einige Spiele scheinen dazu verdammt, nie das Licht der Veröffentlichung zu sehen. Das Verlangen nach Half-Life 3, die Absage von Star Wars 1313 und das unlösbare Rätsel von Tekken X Street Fighter sind nur einige Beispiele für das verschenkte Potenzial, das wir niemals zu Gesicht bekommen werden. Hin und wieder erscheint jedoch eins dieser mythischen Spiele, allerdings zollen die meisten Projekte dem jahrelangem Hype und der öffentlichen Nachfrage Tribut - sie enttäuschen uns in der Regel. Kingdom Hearts III war eines dieser mythischen Spiele. Doch anstatt dass es sein Ziel aus den Augen verlor, ist es die ultimative Demonstration talentierter Teamarbeit. Es ist ein Zeugnis davon, wie eine Mannschaft ihr Potenzial voll ausschöpft und etwas wirklich Besonderes schafft. Nach vielen Jahren des Wartens ist Kingdom Hearts III ein Meilenstein in der vielfältigen JRPG-Landschaft. Wir wollen euch genau erklären, warum die dritte echte Episode der Serie über das hinausgeht, was erwartet wurde. Kingdom Hearts III ist endlich da.
Das Spiel hat noch nicht einmal begonnen und schon belohnt Square Enix zurückkehrende Spieler das erste Mal: Nach ein paar kurzen Blitzen der obligatorischen Logos von Disney, Pixar und Square Enix beginnt das wunderschöne Titellied von Hikaru Utada (Don't think Twice), gefolgt von einer Reihe an Zwischensequenzen aller zuvor veröffentlichten Kingdom-Hearts-Spiele - die auf dem Handy mal weggelassen. Diejenigen, die von Anfang an bei der Serie waren oder erst vor kurzem die Wiederveröffentlichungen durchlaufen haben, werden definitiv Gänsehaut bekommen und die ohnehin schon gigantische Aufregung, Kingdom Hearts III jetzt gleich zu spielen, dürfte nur noch größer ausfallen. Noch bevor wir das erste Mal unsere Reise beginnen, hat Square Enix bereits eine klare Aussage an die Spieler: Kingdom Hearts ist zurück.
Kingdom Hearts III ist das zweite "Ewigkeitsprojekt", das nach Jahren des Wartens, sowie nach etlichen Konzeptverwürfen das Licht der Welt erblickt. Als es 2016 nach einem Jahrzehnt in der Entwicklung präsentiert wurde, wurde der Satz „Ein Final Fantasy für Fans und Erst-[Spieler]" genannt, was erneut die Absicht der Entwickler deutlich machte: Es sollte neue Fans für die Serie gewinnen und die bestehende Fanbasis erhalten. Kingdom Hearts III startet jedoch in eine völlig andere Richtung: Das dritte Kapitel wird am Ende von Kingdom Hearts: Dream Drop Distance eröffnet und lässt neue Spieler, sowie diejenigen mit wenig Erfahrung über die letzten Titel im Staub zurück. Die ersten drei bis vier Stunden von Kingdom Hearts III zielen darauf ab, gezielt bestimmte Personen anzugreifen, anstatt uns mit anderen Ideen in das Spiel einzuführen. Genau wie die gemischten Meinungen von Kingdom Hearts II in der Öffnungszeit, wird der Nachfolger wahrscheinlich auf einem ähnlichen Empfang stoßen. Allerdings wird die Erzählung mit dem Fortschreiten der Geschichte weniger verwirrend und Square Enix gelingt es schließlich, einige der verrückten Ideen, die in anderen Spielen eingeführt wurden, beiseite zu schieben.
Mit kurzen Zusammenfassungen setzt Kingdom Hearts III die magischen Abenteuer von Sora, Donald Duck und Goofy fort, während sie von einer legendären Disney-Welt zur nächsten reisen. Dieses Mal haben sie die Aufgabe, "die Wächter des Lichts" zu sammeln und aufzuspüren, um die endgültige Konfrontation mit dem Bösewicht Xehanort und seiner fiesen Organisation XIII herbeizuführen. Der Kernprämisse der Erzählung konnten wir leicht folgen, da sie bei weitem nicht so verworren ist, wie das, wofür die Serie (leider auch) bekannt geworden ist. Es ist immer noch zu empfehlen, die Ereignisse im Prolog von Kingdom Hearts: Birth by Sleep zu spielen oder zumindest zu kennen. Trotz des langsamen Starts des insgesamt elften Kapitels der Serie erzählt Kingdom Hearts III über seine 40-stündige Laufzeit jederzeit eine spannende und faszinierende Geschichte. Der Spieler wird eine Fülle von Emotionen durchmachen, bevor der Abspann schließlich über den Bildschirm rollt. Ich habe geweint, mich vor Lachen gekrümmt, getrauert und bin Zeuge von überraschenden Offenbarungen geworden. Kingdom Hearts III ist eine wunderschöne Mischung aus großartigen JRPG-Komponenten, den griechischen Tragödien und Walt Disneys Magie. Es hört sich verrückt an und funktioniert trotzdem gut. Inhaltlich ist die Story abgeschlossen und nicht von zukünftigen DLC oder dem umstrittenen "Games-as-Service" -Modell abhängig.
Ein Eckpfeiler der Kingdom-Hearts-Spiele sind die Charaktere, die Sora und seine Crew auf ihrer Reise treffen. Dasselbe gilt für das dritte Spiel, aber diesmal hat Square Enix die Dynamik und das Geplänkel zwischen Sora, Donald und Goofy deutlich verbessert. Der Spieler hat wirklich das Gefühl Zeuge einer tiefen Freundschaft und Kameradschaft zu sein. Besonders Sora und Donald sind lustig zu beobachten, während die Erzählung voranschreitet. Noch mehr Lob gilt der Einbeziehung aller anderen Disney-Figuren: Woody und Buzz von Toy Story benehmen sich exakt so, wie ihre filmischen Kollegen und fühlen sich fast so, als wären sie direkt aus dem Kino gerissen worden. Flynn Rider von „Rapunzel - Neu verföhnt" ist ebenso schrullig, wie Donald und Goofy, aber auch ein bisschen arrogant. Das einzige wirkliche Schmankerl waren die Charaktere aus Frozen, die nicht wirklich so viel Bildschirmzeit hatten, wie es sich Fans der Vorlage wünschen werden. Tatsächlich sehen wir sie hauptsächlich in Szenen aus dem Film...
Square Enix legt viel Aufmerksamkeit darauf, den ursprünglichen Charakteren eine Stimme zu verleihen, deshalb fühlen sich die Figuren so präsent und einzigartig an. James Woods, Zachary Levi und T.J. Miller hören wir deshalb erneut in ihren virtuellen Alter-Egos. Wer die ikonischen Synchronsprecher und bekannte Sounds feiert, der wird von Kingdom Hearts III und seiner magischen Musik nicht enttäuscht werden. Das Erbe der großartigsten Melodien von Kingdom Hearts I und II, sowie den eingängigen neuen Melodien machen das Spiel zu einer ständigen Freude für die Ohren. Besonders Nostalgiker werden alle klassischen Melodien genießen, die bei bestimmten wichtigen Ereignissen und Aktivitäten gespielt werden. Für mich war es schwierig, die ikonische "You Got a Friend In me"-Komposition von Toy Story nicht mit zu summen oder einfach nur die Augen zu schließen, wenn die Partitur von „Baymax - Riesiges Robowabohu" zu hören war.
Kingdom Hearts begann 2002 als ehrgeizige Vereinigung von Final Fantasy und Disney-Universen. Im Laufe der Zeit haben Final-Fantasy-Charaktere weniger Platz in Anspruch genommen und fehlen in Kingdom Hearts III mittlerweile vollständig. Der Einfluss ist aber nicht verschwunden, denn es gibt viele Momente, die eine Hommage darstellen oder sogar direkt von den Final-Fantasy-Spielen kopiert wurden. Darüber hinaus litt die Vermischung der Disney-Charaktere und der originalen Kingdom-Hearts-Figuren in den letzten Spielen unter einer Identitätskrise. Im zweiten Spiel und Dream Drop Distance fühlten sich die Welten oft inkohärent an und hatten keine direkte Verbindung mehr zur übergeordneten Verschwörung. Viele einzigartige Disney-Szenen verloren dadurch ihre Daseinsberechtigung und waren nur deshalb überhaupt integriert worden, um den Film zu integrieren. Am Ende war das eher ein Hindernis, als eine coole Integration. Square Enix weiß das natürlich auch und deshalb ist Kingdom Hearts III von diesem Phänomen befreit. Jede besuchte Welt ist mit Soras Suche verbunden und bietet mehr, als nur ein weiteres Level mit schicken Disney-Immobilien. Wenn der Spieler Buzz und Woody in Toy Story besucht, handelt es sich nicht um eine Nacherzählung des Films, sondern um eine völlig neue Geschichte in einer frischen Umgebung. Dementsprechend verliert Kingdom Hearts III nie an Tempo und bleibt immer interessant und ermutigt zu Erkundungen.
Die Serie hatte nie Angst davor, sich mit verschiedenen Gameplay-Mechanismen zu beschäftigen. Kingdom Hearts war bereits ein rundenbasiertes Kartenspiel, ein plumpes Action-RPG und hing von Bewegungs- und Touchscreen-Steuerung ab. Doch erst mit Kingdom Hearts III kann Square Enix alle Elemente seines Gameplays-Mixes festnageln (und es ist bemerkenswert, das wirklich selbst zu spielen). Der Kampf wurde umfangreich optimiert, denn Sora führt nun drei Schlüsselschwerter in die Schlacht - jedes bietet einzigartige Fähigkeiten und verschiedene Waffentransformationen. Ein Schlüsselschwert verwandelt sich beispielsweise in einen zerstörerischen Hammer, der alles in Sichtweite zerstört, während ein anderes zum tödlichen Jo-Jo wird. Jede der Waffen hat zudem einen einzigartigen Spezialangriff, der alle Feinde auf dem Bildschirm enormen Schaden zufügt. Die Klingen lassen sich mit einer Vielzahl an Gegenständen aufwerten, sodass eure Favoriten selbst gegen stärkere Feinde niemals nutzlos werden, sollte die Geschichte voranschreiten.
Neben Soras Arsenal an Schlüsselschwertern sind die von Final Fantasy inspirierten Aufladungen wieder zurückgekehrt und nun nützlicher als je zuvor. „Ralph reichts" dabei zuzusehen, wie er Spielzeug in einem riesigen Laden zerschmettert oder die kleine Meerjungfrau inmitten eines Waldes beschwört, wird einfach nie alt. Auch Donald und Goofy waren noch nie so zuverlässig und effizient, wie in Kingdom Hearts III - im krassen Gegensatz zu ihrer fast nutzlosen Performance im zweiten Spiel. Donald beendet Soras Nahkampfangriff manchmal mit mächtiger Feuermagie und ruft riesige Meteore hervor, um den Feind schwer zu schädigen. Goofy ist hingegen großartig darin, Donald und Sora mit seiner Schildmagie zu schützen. Die KI wurde erheblich verbessert und der Spieler kann sich tatsächlich auf seine Verbündeten verlassen, um in einer schwierigen Situation zu helfen. Wir empfehlen wir euch das Spiel mit der Einstellung "Stolz" zu spielen. Bei normalem Schwierigkeitsgrad sind die Kämpfe nur selten wirklich herausfordernd, sie richtet sich also an alle, die sich ausschließlich mit der Geschichte beschäftigen wollen.
In den frühen Entwicklungsstadien wechselte das Team von der hauseigenen Luminous-Engine zur äußerst beliebten Unreal Engine 4. Die Entwickler haben das zwar nicht selbst gewünscht, konnten dank ihrer kreativen Fähigkeiten aber das Beste daraus machen. Kingdom Hearts III ist eine Errungenschaft im Bezug auf visuelle Treue, Weltenaufbau und ästhetisch ansprechendes Spieldesign. Das Spiel vermischt eine erstaunliche Anzahl an Kunststilen, wird zum Anime, zum Cartoon, ist sogar ein Live-Action-Film und natürlich waren auch die Pixar-Animationsstudios nicht untätig. Wenn ihr die offene Karibikwelt durchquert oder die schneebedeckten Berge des fiktiven Skandinaviens aus Frozen erklimmt, erwarten euch in jedem Fall beeindruckende Bilder. Die Arbeit, die Square Enix in jede Welten gesteckt hat, ist bemerkenswert, seien es die üppigen Wälder von „Rapunzel - Neu verföhnt", die Metropole in „Baymax - Riesiges Robowabohu" oder das ikonische Twilight Town. Selbst nachdem die Kampagne abgeschlossen ist, gibt es noch viel zu tun. Welten wollen vollständig erkundet werden, alle Minispiele ausprobiert, Schätze entdeckt und optionale Missionen abgeschlossen werden - da stecken noch viele zusätzliche Stunden des reinen Spaßes drin.
Es dauerte viele Entwicklungsjahre - 14 Jahre, um genau zu sein - um an diesen Punkt zu gelangen. Der ganze Hype, die Vorfreude und die Angst vor dem Endprodukt scheinen so weit weg zu sein. Kingdom Hearts III ist eine Achterbahn voller erstaunlicher Elemente. Es bietet eine packende Geschichte, interessante Charaktere, eine wunderschön gestaltete Welt und ist einfach ein verdammter Spaß. Kingdom Hearts III ist ein Meisterwerk.