Während viele von uns auf frische Exklusivtitel für die aktuellste Konsolengeneration warten, springen einige Hersteller zumindest mit polierten Updates ihrer neuesten Spiele in die Bresche. Sega bietet uns in diesem Zuge gleich zwei Titel ihres Ryu-ga-Gotoku-Studios an - den Schöpfern der Yakuza-Reihe. Beide sind auf ihre eigene Art neue Blickpunkte auf die erfolgreiche Spieleserie, sodass Newcomer auch ohne Vorwissen wunderbar einsteigen können. Während Yakuza: Like a Dragon als große Neuerung die Straßenprügeleien, die die Reihe bekannt gemacht haben, durch Rollenspielkämpfe ersetzte, spielt sich Judgment trotz des anderen Namens und der frischen Hauptfigur wie eine klassische Yakuza-Episode im neuen Gewand.
Schon auf der Playstation 4 war der fiktive Tokioter Stadtteil Kamurocho schöner als je zuvor. Wir konnten mit der neuen Hauptfigur Takayuki Yagami bereits nahtlos die Innen- und Außenbereiche dieses Vergnügungsviertels erkunden - auf Wunsch hin sogar in der Ego-Perspektive. Auf der PS5 und der Xbox Series X können wir das alles nun auch mit 60 Bildern pro Sekunde genießen, was vor allem in den dynamischen Kämpfen, die das Spielgeschehen prägen, sehr gut zur Geltung kommt. Es hilft aber auch bei den rasanten Drohnen-Rennen, die als Minispiel zur Verfügung stehen, immens. Am eigentlichen Spielinhalt hat sich in dieser Fassung nicht viel geändert, allerdings stehen nun sämtliche, zuvor veröffentlichte DLC-Überraschungen bereit (was sich jedoch überwiegend auf Bonusgegenstände im Spiel beschränkt). Damit kann Takayuki sein Büro von Anfang an mit Sammelfiguren oder Unmengen von Katzen dekorieren.
Am harten Fall, den Takayuki zu lösen hat, ändert sich dadurch aber wie gesagt nichts: Unser Held, der übrigens vom in Japan sehr bekannten Schauspieler Takuya Kimura verkörpert wird, bekommt es in diesem Ableger nicht nur mit einem Serienmörder zu tun, er wird auch mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert. Einst war er ein Star-Anwalt, der es als einer der Wenigsten in Japan schaffte, einen mutmaßlichen Mörder vor seiner Verurteilung zu bewahren. Doch nach der Freisprechung, die in den Medien große Wellen schlug, ermordete der Angeklagte seine eigene Freundin und kam wieder hinter Gitter.
Diese Wendung der Ereignisse stürzte Takayuki in eine tiefe Sinnkrise und seitdem verdingt er sich als halbseidener Privatdetektiv, der viele Berührungspunkte mit der japanischen Mafia hat - nicht zuletzt seinen Buddy Kaito, der aus einem der großen Clans rausgeflogen ist und seitdem tat- und schlagkräftig bei der Detektivarbeit mithilft. Takayuki kann schon bald jede Hilfe gebrauchen, denn es häufen sich plötzlich Morde, bei denen Yakuza-Mitgliedern die Augen ausgestochen werden... Natürlich steckt hinter diesen grausamen Taten viel mehr, als man im ersten Moment denken würde. Denn wie immer bei den Yakuza-Spielen ist der Handlungsverlauf fast schon überbordend komplex konstruiert, was natürlich gerade aus der Sicht eines Detektivs erzählt, sehr reizvoll ist.
So hat „Tak" neben den üblichen Straßenschlägereien, die mit ihren auflevelbaren Moves sogar komplexen Prügelspielen Konkurrenz machen könnten, einige spezifische Skills und Minispiele am Start. In wichtigen Gesprächen gibt es Auswahlmöglichkeiten, Tatorte werden fast schon in Point&Click-Manier untersucht, es gibt Beschattungsmissionen, die (auch von ihrer Nervigkeit her) an frühe Assassin's-Creed-Episoden erinnern, und Beweise sammeln wir mit einer Fotokamera oder mit einer Drohne. Yakuza-Fans ahnen natürlich schon, dass das noch längst nicht alles sein wird.
Wie die anderen Spiele des Studios hat auch Judgment wahre Unmengen von Nebenaufgaben und Minispielen im Gepäck. Als privater Ermittler nimmt Tak nämlich auch andere Jobs an, bei denen er zum Beispiel untreue Ehepartner auffliegen lässt. Die Bevölkerung des turbulenten Vergnügungsviertels Kamurocho hat natürlich jede Menge Sorgen und Nöte, bei denen Tak aushelfen kann oder möchte - sogar diverse Freundinnen kann er sich in den entsprechenden Handlungssträngen anlachen. Und auch sonst gibt es Vieles zu tun, mit dem er sich die Zeit vertreiben und Erfahrungspunkte sammeln kann. Die werden benötigt, wenn ihr weitere Fähigkeiten ausbilden und bestehende Talente aufwerten wollt.
Mit Jobs und Zockerei lässt sich Geld verdienen, das in Equipment und zahlreiche Heil- oder Buff-Getränke gesteckt wird. Ein Klassiker sind dabei unter anderem die Spielhallen, in denen wir alte Sega-Automaten, wie Virtua Fighter 5 zocken können. Als Besonderheit ist in Judgment zum Beispiel Motor Raid dabei, ein Wipeout-Verschnitt der frühen Polygonzeit, der zuvor noch nie für Heimkonsolen umgesetzt wurde. „Kamuro of the Dead" hingegen ist ein neu entwickelter, simulierter Zombie-Lightgun-Shooter, der natürlich an „The House of the Dead" erinnert, aber die aktuelle Yakuza-Engine benutzt. Das ist schon schräg und auch irgendwie selbstreferenziell - wie Vieles an den Spielen des Studios. Mit einem Augenzwinkern wird an frühere Zeiten von Sega erinnert und manchmal verneigt man sich auch vor der Konkurrenz.
Insgesamt bekommt man wie immer extrem viel Spiel fürs Geld, denn die Neuauflage von Judgment wird direkt zu einem verminderten Preis angeboten. Etwas Schlucken müssen Vorbesitzer des Spiels, denn es gibt weder eine Upgrade-Möglichkeit, noch kann man Spielstände vom PS4-Original in die neue Version hinüberretten. Für Leute, die schon über hundert Stunden investiert haben, um jedes Spieldetail im Original zu entdecken, ist das sicher kein guter Deal. Für alle anderen ist Judgment aber ein echter Knaller, den man sich auf jeden Fall mal anschauen sollte.
Man muss nur damit rechnen, dass das Ganze bisweilen schon sehr japanisch ist, was sich in abgedrehten Themen wie Managern mit Windelfetisch äußert. Oder in der technischen Eigenart, dass sich japanische Gamer viel weniger an Kantenflimmern stören, weshalb der nervige Bildeffekt auch auf den neuen Flaggschiff-Konsolen immer noch reichlich vorkommt. Dann gibt es noch einige Komforteinbußen, wie die fehlende deutsche Sprachausgabe, und dass viele Kommentare von Passanten nicht eingesprochen sind, sondern durch Textboxen eingeblendet werden - was übrigens sogar für Dialoge in Nebengeschichten zutrifft. Doch insgesamt können wir froh über jedes Yakuza-Game sein, das in den Westen kommt, denn das war früher ganz anders. Fans wie mir reicht eigentlich auch schon das Plus an verbesserter Grafik, um mich einfach noch mal von vorne in das Detektiv-Abenteuer mit seiner dichten, mit jazzigen Klängen angereicherten Atmosphäre zu stürzen.