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Do you wanna Kinect?

Ist kein Controller besser als ein Controller? Microsoft glaubt das - so sicher sind wir uns aber über die Aussichten für Kinect gar nicht. Wir haben Kinect getestet und sagen, was wir davon halten...

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Project Natal wurde im Vorfeld oft als heiße Luft bezeichnet - auf der E3 2010 war es an Microsoft, die Kritiker vom Gegenteil zu überzeugen. Das jedoch machte der Konzern unterirdisch schlecht. Kinect ist genauso furchtbar, wie es die Präsentation auf der E3, die Natal Experience inklusive Cirque du Soleil-Auftritt, erahnen ließ:

An einem Sonntagabend, wenige Tage vor Messebeginn, lädt Microsoft Entwickler, Presse und Geschäftspartner ein, die Natal Experience zu erleben. Eine erschöpfend lange und protzige Angelegenheit, begleitet vom talentierten Cirque du Soleil. Das alles wirkt ein wenig so, als ziele man eher auf das typische MTV-Publikum ab als auf irgend jemanden der Anwesenden. Für die mehreren hundert Spielejournalisten im Saal ist der Abend schlicht Zeitverschwendung. Eine einfache Pressemitteilung mit nur dem Wort Kinect drauf hätte deutlich mehr gebracht. Damit aber schaffte es Microsoft, so ziemlich jeden zu verärgern, der eigentlich der Welt mitteilen sollte, warum Kinect für Coregamer (wie man Spieler nennt, für die das hirnlose Wedeln mit den Armen nicht die Erfüllung ist) so interessant sein soll.

Auf dem Weg zur Microsoft-Pressekonferenz am nächsten Tag versuche ich, die schlechten Gedanken aus dem Kopf zu kriegen. Sicher würde man uns hier mehr zeigen als schnöde Plagiate von Nintendo-Produkten mit einem eingeblendeten Kinect-Logo im Vorspann.

Und es gibt tatsächlich einige Highlights, die meisten davon jedoch dank der Entwicklungen Dritter: Von Ubisoft kommt Your Shape: Fitness Evolved, eine Trainings-Software, die die Kinect-Features komplett ausschöpft. Harmonix bringt Dance Central, das wie Rock Band oder die ganzen Tanzspiele sein möchte. Und Q Entertainment werkelt an Child of Eden, der geistige Nachfolger von Rez, der einfach nur atemberaubend aussieht. Während andere Entwickler solch vielversprechende Titel vorstellen, lässt Microsofts Turn 10 die Leute mit der Kinect Kamera herumspielen und einen Blick auf die Automodelle in Forza werfen. Ich bin überzeugt, dass an Forza Kinect mehr dran ist - aber es tut beinahe weh zu sehen, wie wenig Microsoft für Kinect zu bieten hat - verglichen mit dem offenkundig Wii-lastigen Line-Up neuer Spieletitel auf der Messe.

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Es spricht ebenso Bände, dass Microsoft den noch namenlosen Star Wars-Titel pusht, den Lucasarts für Kinect entwickelt. Ich persönlich würde diese Art von Spielen viel lieber mit Playstation Move spielen, wo ich ein Gewicht in der Hand spüre und Rückmeldung vom Controller bekomme, wenn ich das Lichtschwert schwinge. Das zeigt, dass das Wunder des Spielens ohne Controller durchaus seine Grenzen hat. Oder anders gesagt: Kein Controller ist eben nicht unbedingt besser als ein Controller. Auf der anderen Seite kann man nur mit nichts in der Hand einen "Force Push" machen, der sich wiederum richtig anfühlt.

Do you wanna Kinect?
Child of Eden ist definitiv der originellste Titel, den wir zu sehen bekamen. Andere wie Dance Central und Your Shape: Fitness Evolved sehen aber auch nicht schlecht aus.

Doch selbst wenn die vorgestellten Spiele nur Klone von altbekannten Konzepten sind, können sie ja trotzdem Spaß machen, oder? Kann man mit einer Sportspiel-Sammlung, mit Kartrennen und niedlichen Tieren wirklich etwas falsch machen? Am Microsoft-Stand probierte ich die Titel aus, um das herauszufinden.

Zuallererst fällt mir auf, wie (über-)empfindlich Kinect ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie die meisten dieser Spiele in einem Wohnzimmer voller Menschen funktionieren sollen. Kinect erfasst regelmäßig Personen, die irgendwo hinter mir am Rand des Messestandes stehen. Und verliert mich gleichzeitig, weil ich beim Bowlen ein paar Zentimeter zu dicht an der Kamera stehe. Manchmal gibt es auch noch eine Zeitverzögerung oder Kinect stellt sich plötzlich beim Nachahmen meiner Bewegungen dumm an. Zum Beispiel mache ich einen Sprung mit einer vollen Drehung in der Demo von Kinect Adventures, da hüpft mein Avatar nur einmal kurz hoch. Oder als ich versuche meinem Kuschel-Panther (Ok, ok, ein Panther als Haustier ist ziemlich cool, das gebe ich zu) beizubringen, wie man sich tot stellt, muss ich mich wohl zu schnell fallen gelassen haben. Denn mein Panther glaubt, ich sei gegangen - und macht ein trauriges Panthergesicht.

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Kinect Joyride ist eine Enttäuschung: Das Gameplay fühlt sich dünn und unecht an.

Natürlich sind diese ganzen Fehler klein genug, um bis zum Verkaufsstart behoben zu werden. Aber um ehrlich zu sein, haben mich die Eigenentwicklungen von Microsoft nicht besonders vom Hocker gerissen. Kinectimals fühlt sich eher wie eine Abfolge von Aufgaben an und weniger wie ein wirkliches Spiel, in dem man mit virtuellen Tieren frei agieren kann. Kinect Sports hat seine Momente - auf der Stelle zu laufen funktioniert einwandfrei und Bowling ist in Ordnung - aber letztlich ist das alles schon da gewesen und tausendfach gespielt. Ich setze große Hoffnungen in den Box-Part von Kinect Sports, weil Ausweichen und die eigene Deckung genau wie die Schläge mit Kinect zu einer wesentlich besseren Erfahrung werden, als alles Vergleichbare auf der Wii. Kinect Adventures geht meiner Meinung nach überhaupt nicht und Kinect Joyride scheint allenfalls ein durchschnittliches Rennvergnügen zu werden.

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Kinect Adventures ist eines dieser Spiele, bei denen der Spaß beim Zugucken größer ist als beim selber Spielen - auch wenn es durchaus seine Momente hat.

Im Moment sehe ich noch keine Rechtfertigung, für Kinect 150 Dollar (oder auch nur 100 Dollar) zu verlangen - es sei denn, man ist ein absoluter Rez-Anbeter (was auf mich übrigens zutrifft). Auch wenn man natürlich weitere Spiele enthüllen wird, je näher das Releasedatum im November rückt: Microsoft muss noch jede Menge Überzeugungsarbeit leisten, bevor ich Kinect irgend jemandem empfehlen kann.



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