Ende der 90er Jahre wagten Codemasters mit Colin McRae Rally ein ziemliches Experiment. Das Spiel war realistisch und so fuhren Spieler alleine gegen die Uhr - ungewöhnlich in einer Zeit, in der Rennspiele überwiegend laut, bunt und voller spektakulärer Crashes waren. Im Verlauf der Jahre mutierte die Reihe aber selbst in diese Richtung und nahm nach dem Tod des namensgebenden Rallyfahrers den Namen „Dirt" an.
Überzeichnete Funsport-Eskapaden und trendige Buddy-Präsentation standen im Vordergrund, bis sich vor drei Jahren ein kleines Team bei Codemasters auf die Ursprünge besann und mit Dirt Rally wieder eine beinharte Simulation schuf. Das Spiel kam bei Kritikern und Spielern blendend an, der nächsten Serienteil Dirt 4 war allerdings wieder ein etwas unrunder Spagat zwischen Realismus und Action.
Als großer Fan von Dirt Rally habe ich inzwischen über hundert Stunden mit der PC-Version auf dem Tacho und bestimmt noch einmal die gleiche Zeit auf der PS4 gespielt. Dirt 4 hingegen legte ich schnell beiseite und spielte stattdessen den Vorgänger weiter. Entsprechend gespannt war ich auf den offiziellen und direkten Nachfolger, der schon mit der „2.0" im Titel eine direkte Hommage an den Klassiker Colin McRae Rally 2.0 liefert.
Nach dem Experiment mit Dirt 4 hat sich das Team angeschaut, was man an der ursprünglichen Formel noch verbessern kann und ist als erstes bei der Fahrphysik gelandet. Die war schon damals sehr gut, macht aber nun noch etwas exakter die verschiedenen Bodentypen wie Schotter, Sand, Matsch oder Asphalt spürbar. Ein besonderes Schmankerl ist dabei die neu eingeführte „Abnutzung" des Untergrundes. Je nachdem, von welchem Startplatz wir unsere Zeitfahrt hinlegen müssen, finden wir die Piste in unterschiedlichem Zustand vor. Für die ersten Fahrer kann sie noch recht staubig sein und deswegen weniger perfekten Grip bieten - die letzten Starter müssen sich dagegen mit den zerfurchten Gräben herumplagen, die die Konkurrenten hinterlassen haben.
Auf dem Papier ist das ein tolles Feature und auch in der Praxis funktioniert es so, wie es soll. Gerade am Anfang der sehr reduzierten Karriere ist man mit einem klapprigen Lancia Fulvia aus den späten 1960er Jahren oft ganz hinten am Start und hat auf realistischen Settings mit einem Force-Feedback-Lenkrad sehr zu kämpfen. Trotzdem muss man leider sagen, ist das Feature etwas unsinnig, denn man fährt ja nun in einer Rallye jede Strecke nur ein Mal. Es gibt nicht mehrere Runden wie in Sega Rally 3, wo man sich auf die kontinuierlich schlechter werdenden Bodenverhältnisse einstellen musste.
Immerhin zeigt dieses Merkmal des Spiels die Tiefe und den Anspruch, den die Entwickler an die Fahrphysik stellen. Dirt Rally 2.0 ist genau der Kampf gegen die Elemente, den diese Sportart ausmacht. Bei Wind und Wetter, tiefstehender Sonne und üblen Straßenverhältnissen geht es weniger darum, Erster zu werden, sondern überhaupt ins Ziel zu kommen. Schon Dirt Rally hatte den Ruf, das Dark Souls der Rennspiele zu sein. Und da setzt Codemasters nun noch einen drauf.
Besonders hart wirkt sich das bei den Onlinemodi aus, in denen wir unsere Zeiten mit Fahrern aus der ganzen Welt vergleichen. Steckt beispielsweise ein Auto gerade in einem Karriererennen, können wir es nicht für eine Online-Ausfahrt benutzen, sondern müssen ein weiteres Gefährt aus der vorgegebenen Klasse in der Garage haben. Oder das nötige Kleingeld gespart haben, um es zu kaufen. Bauen wir dann einen Unfall, müssen wir den Schaden aus eigener Tasche bezahlen - und das sogar, wenn wir bei einer Testfahrt von der Piste fliegen! Gerade bei den höheren Klassen werden diese Reparaturen schnell so teuer, dass man sie sich direkt nach dem Kauf eines neuen Vehikels kaum leisten kann.
Zusätzlich müssen wir noch Geld für unsere Teammitglieder haben, die wir in verschiedenen Bereichen schulen können, um zum Beispiel Reparaturen schneller ausführen zu können. So müssen wir in der Werkstatt abwägen, ob wir vielleicht ein kaputtes Teil nur wieder geradebiegen lassen, statt ein komplett neues zu kaufen. Auch bei den Reifen sind nun mehr Optionen und Risiken am Start. Fahren wir mit den alten, abgefahrenen Gummis oder geben wir das Geld für einen neuen Satz aus? Nehmen wir einen oder sogar zwei Ersatzreifen mit und erhöhen damit das Gewicht unseres Wagens? Oder gehen wir das volle Risiko ein, bei einem Reifenschaden auszuscheiden?
Bei einem Unfall oder Dreher droht sogar nun die Disqualifikation, wenn wir nicht innerhalb von 30 Sekunden wieder auf der Piste sind, denn das nächste Team ist schon unterwegs. Aus Dirt 4 wurde in diesem Sinne das (abschaltbare) Feature übernommen, dass wir auf der Strecke gegebenenfalls auf liegengebliebene Konkurrenten treffen, wobei die Gefahr einer Kollision besteht. Das klingt alles hart, und das ist es auch.
Bei Dirt Rally 2.0 geht es mehr als je zuvor darum, das Risiko abzuwägen, das man eingeht - nicht nur für sich selbst, sondern auch für Zuschauer und den eigenen Co-Piloten, dessen Streckenvorhersagen diesmal noch detaillierter sind als je zuvor. So manch auffällige Betonung wiederholt sich dann aber trotzdem zu oft und auf Kollisionen reagiert der seelenruhige Mann leider immer noch nicht. Er müsste ja nicht gleich fluchen wie ein Rohrspatz, aber hier und da mal ein „Oh!" oder „Alles okay?" wäre auf jeden Fall realistischer. Denn generell probiert das Spiel schon, im Sinne von Dirt 4 etwas mehr Atmosphäre aufkommen zu lassen. So sehen wir unser Fahrerlager vor und nach jeder Etappe, der Co-Pilot kommentiert den Rennausgang und wir müssen nach dem Ziel noch ein bisschen weiterfahren, bis wir beim Streckenposten ankommen.
Wie auch schon in der Vergangenheit ist also der Weg das Ziel. Es zählt der Nervenkitzel, nicht in der letzten Kurve einer Zehn-Minuten-Etappe noch alles in den Sand zu setzen. Und diesmal werden wir auf der Fahrt mit besonderen optischen Genüssen verwöhnt, denn die Grafik wurde noch mal um einiges verbessert. Auch die verschiedenen Tageszeiten und Wetterbedingungen sind toll gemacht, manchmal blendet die Sonne richtig fies oder die Spiegelungen in der nassen Fahrbahn verwirren wie im richtigen Leben.
Optisch etwas schlechter ausgefallen sind die Nacht-Etappen. Sie sehen deutlich künstlicher aus, ohne das ich genau sagen könnte, woran das eigentlich liegt - vielleicht ist einfach die Sättigung der Bereiche im Lichtkegel zu hoch. Denn wenn erst einmal die Lichter kaputtgefahren sind und man durch die Finsternis gurkt, sieht eigentlich alles ganz stimmungsvoll aus - wenn auch noch viel gefährlicher. Am schönsten fährt es sich jedenfalls bei Tag und im Gegensatz der zufallsgenierten Strecken aus Dirt 4 wurde nun wieder alles per Hand gestaltet und die Ergebnisse können sich wirklich sehen lassen. Auch wenn gewisse Abschnitte durch Wald und Wiesen relativ gleichförmig sind, locken dann wieder echt markante Szenerien mit gigantischem Weitblick oder idyllischen Siedlungen.
Aufgrund der Wahl der vertretenen Länder ist die optische Abwechslung allerdings eingeschränkter als im ersten Teil. Wir brettern durch Argentinien, Australien, Neuseeland, Spanien, Polen und die USA. Das kommt Dirt 4-Veteranen bekannt vor und sicherlich wurde hier einiges recycled, wenn auch in eine deutlich rundere Gesamtpackung hinein. Schnee- und Winterstrecken fehlen leider noch völlig, doch wie bereits durchsickerte, soll noch DLC-Pakete kommen. Die erste Ladung soll das Spiel um Monte Carlo, Schweden und Deutschland erweitern, drei Rallyes, die auch schon im ersten Teil vorhanden waren. Möglicherweise wird also bloß der Content des Vorgängers grafisch neu aufgearbeitet und gegen zusätzliche Bezahlung zur Verfügung gestellt.
Das wird sicher nicht allen Fans gefallen, doch immerhin muss man sagen, dass Dirt Rally 2.0 trotzdem mit etwas mehr Content an den Start geht als sein Vorgänger, da es vor allem im Bereich der Autos mehr Auswahl gibt. Diese klingen übrigens überwiegend auch noch eine Spur brachialer als im Vorgänger und auch die anderen Soundeffekte lassen ordentlich Stimmung aufkommen. Die Musik in den Menüs und Ladepausen ist allerdings deutlich weniger groovy als im Erstling und erinnert in den schlimmsten Fällen an Fahrstuhlmusik. Doch zum Glück geht es ja hier um satte Motorensounds und die passen herrlich zu den verschiedenen Wagenklassen, von 1960er-Klassikern bis zu modernsten GT-Fahrzeugen, die man sich gar nicht unbedingt auf einer Rallypiste vorstellen würde.
Nicht zuletzt sorgt darüber hinaus der offiziell lizenzierte Rallycross für Abwechslung, und in diesem Bereich sind sowohl die Strecken aus dem Vorgänger sowie neue Pisten an Bord. Hier bietet sich also ein weiteres Betätigungsfeld, um im direkten Kräftemessen mit Konkurrenten Geld zu verdienen, das wir in neue Autos stecken können. Oder in Reparaturen, wenn es mal schlecht läuft. Doch auch einen dramatischen Crash nimmt man bei Dirt Rally 2.0 irgendwann ganz gelassen.
Unterm Strich macht uns das Spiel zu besseren virtuellen Fahrern. Und auch wenn die Lernkurve steil ist, wird man nach entsprechend viel Training zum absoluten Offroad-Profi. Apropos Virtualität: Dirt Rally war auch dafür bekannt, eines der beliebtesten VR-Rennspiele zu sein, wogegen diese Technik bei Dirt 4 zum Leidwesen der Fans vernachlässigt wurde. Das ist wirklich schade, denn gerade das dreidimensionale Sehen der Strecken macht es einfacher, Abstände und Tempo richtig einzuschätzen. Zum Glück hat Codemasters aber bereits angekündigt, direkt mit Oculus zusammenzuarbeiten, um später im Jahr eine VR-Anpassung veröffentlichen zu können. Ob diese dann auch für andere VR-Systeme erhältlich sein wird, bleibt abzuwarten. Traditionell ist Oculus einigermaßen entspannt, was Drittlösung wie ReVive angeht, die ihre Spiele auch auf HTC-Geräten lauffähig machen. Von daher ist PSVR momentan der größte Wackelkandidat.
Bis es soweit ist, kann man aber auch schon zweidimensional sehr, sehr viel Spaß mit Dirt Rally 2.0 haben. Sofern man denn bereit ist, sich auf die kompromisslose Härte einzulassen, die selbst mit allen zugeschalteten Fahrhilfen nicht von schlechten Eltern ist. Eine Rückspulfunktion wird es wohl bei Dirt Rally nie geben. Und genau deswegen werden Fans des Erstlings diesen Nachfolger ebenso lieben. In baldiger Zukunft dann sogar hoffentlich noch mehr, wenn erst einmal der momentan noch fehlende Content nachgereicht wurde.