Dies ist eine korrekte Tim Schafer-Situation und nichts anderes: Mit Lemmy "The Kill Master" Kilmeister auf einem absurd aufgepimpten Motorrad herumkutschieren und so die Metal-Schafböcke zusammentreiben, die dann von den Razor Girls geschlachtet werden. Sie ziehen die metallischen Eingeweide aus den Tieren heraus und verwandeln sie in Waffen. Aus den Lautsprechern des Feuerstuhls dröhnt Kickstart My Heart von Mötley Crüe und im Hintergrund türmen sich vor einem lilafarbenen Plattencover-Himmel riesige Rock-Wahrzeichen aus Granit auf. Als Roadie Eddie Riggs haben wir eine Revolution gestartet. Unsere Waffe ist der Rock.
Und es kommen noch mehr Tim Schafer-Situationen. Aber sie finden auf neuem Terrain statt, weil sich Brütal Legend in Genres bewegt, in denen der Meister des Abenteuers bis jetzt noch nicht unterwegs war. Aber ein Blick auf Schafers Lebenslauf macht klar, dass diese Entwicklung auf eine gewisse Weise dennoch natürlich ist. Der Typ lebte seine wilde Phantasie in 2D-Point-and-Click-Spielen wie Monkey Island, in Abenteuern wie Grim Fandango, im Plattform-Adventure Psychonauts und schließlich in Brütal Legend aus. Das mischt Abenteuer, Action und sogar Echtzeit-Strategie. Fans des bärtigen Spielemachers finden sich prima zurecht; Brütal Legend glüht vor wahrem Schafer-Wahnsinn und Genialität, vom einzigartigen Live Action-Intro bis hin zu den Schlussszenen.
Das rauchende, fluchende Faktotum Eddie Riggs (von Jack Black gespielt und auch nach seinem Vorbild entworfen) befindet sich am Anfang von Brütal Legend in der richtigen Welt, wo er als tüchtiger, aber gelangweilter Roadie für eine lahme Rockband arbeitet. Die Band macht sich über ihn lustig und Eddie philosophiert mit seinen Kollegen darüber, dass er vielleicht zu spät geboren wurde. Stell dir vor, in einer anderen Zeit Roadie gewesen zu sein. "Die Siebziger?", fragt der Kollege. Früher, meint Eddie: "Mehr so die frühen Siebziger." Dieser Traum wird in gewisser Hinsicht Wirklichkeit, als Eddie bei einem Bühnenunglück seine Gürtelschnalle mit Blut befleckt, was einen Rock-Gott aufweckt, der den Roadie in ein urzeitliches Heavy Metal-Land transportiert. Ein Land in Not. Die Menschheit ist von dem Dämonenkönig Doviculus versklavt. Die Headbanger schuften in Höhlen und kloppen mit ihren Köpfen Granit (ihre Nacken sind sehr kräftig geworden). Alle coolen Rockerbräute wurden in einen Harem verschleppt. Es gibt nur eine kleine Widerstandsbewegung, die einen, naja, keinen Führer, sondern einen Macher braucht. Einen Roadie eben.
So nimmt das Abenteuer seinen Lauf und eine riesige Spielwelt öffnet sich. Eddie baut sich ein Auto aus dem Material, das die Metal-Götter hinterlassen haben und fängt einen Flirt mit seiner neuen Bekanntschaft Ophelia an, ein Rockermädchen mit einer geheimnisvollen Vergangenheit. Es gibt eine Menge zu tun und wir folgen nun entweder der Hauptgeschichte oder brettern einfach mit dem Auto rum und suchen Nebenaufträge wie Wettrennen fahren oder Steindrachen befreien, die mit Ketten und SM-Knebeln (japp!) gefesselt sind. Die Freiheit ist toll. Und allein so eine kleine Sightseeing-Tour mit amtlichem Hardrock im Autoradio macht in bester Grand Theft Auto-Tradition reichlich Spaß - ohne den schrecklichen Rap-Quatsch natürlich. Lange hat es in einem Spiel nicht mehr so viel Spaß gemacht, einfach nichts zu tun.
Die Freude an der Erkundung hängt zu großen Teilen mit dem Look zusammen, der ohne Zweifel der phantasievollste in diesem Jahr ist. Egal, wie absurd die urzeitliche Metal-Welt auch sein mag, es fühlt sich trotzdem alles absolut logisch an. Die Rockmusik und ihre ganze Kultur durchdringt hier nicht nur die Einwohner, sondern auch die Natur. Bier wächst an Bäumen, es gibt eine enorme Felswand aus Verstärkern und die Bass-Seiten von Kill Master werden aus den Netzen von Riesenspinnen gefertigt (was Eddie natürlich in einer richtig gruseligen Spinnenhöhle übernehmen muss). Allein die Mühe, die sie sich mit dem Hauptmenü des Spiels gegeben haben - ein richtiges Vinylalbum mit abgegrabbeltem Umschlag - sagt viel über die Ambitionen des Spiels aus. Brütal Legend weckt den Wunsch, die alten Metal-Scheiben vom Dachboden herunterzuholen.
Eddie zerlegt seine Gegner mit Hilfe seiner Axt namens The Seperator und Clementine, seiner Gitarre - und die Fights sind sowohl hübsch anzusehen als auch witzig. Die Feinde sind zudem artenreich, abwechslungsreich und ausgeflippt. Es gibt Klein- und Großwild wie Stachelschweine, Dämonen-Rehe und Bärenmonster mit messerscharfen Zähnen. Es gibt Dämonen, Nonnen, Gruftie-Gravediggers mit gestreiften Pullis, Kinderwagen, Sensenmänner auf Pferden, das phantastisch bösartige Motorrad Tick Chopper mit Fahrer, das Orgelfahrzeug Organist, das mit seiner Musik Angst und Schrecken verbreitet... und so weiter und so weiter. Lebendige Phantasie ist eine Untertreibung, wenn man über dieses Spiel redet.
Für Fans des Musikgenres ist Brütal Legend die reinste Bescherung. Vor allem wegen des Soundtracks, der ebenso hart wie klassisch ist. Er besteht aus einer Menge Originalmusik von bekannten Künstlern und wir spielen ihn in der Anlage von Eddies Auto The Deuce ab, die Mouth of Metal heißt. Eigene Playlists und Sortierungen nach unzähligen Metal-Subgenres wie Thrash, Symphonic, Power oder Shred Metal sind möglich. Black Sabbath, Judas Priest, Motörhead, Mötley Crüe, Kiss, In Flames, Enslaved, Slayer, Def Leppard, Marilyn Manson und Whitesnake... hier ist weit und breit kein Pop oder Rap in Sicht. Es lohnt sich fast schon, Brütal Legend allein wegen seines steinharten Soundtracks zu kaufen. Es sagt viel aus, dass das Spiel manchmal nur so nebenbei läuft, allein um die Musik zu hören, was absolut problemlos funktioniert, weil es im Autoradio Sortier- und Shuffle-Funktionen gibt.
Rockfans wissen auch die Mitarbeit verschiedener Rocklegenden zu würdigen. Anstatt wie in Guitar Hero oder Rock Band nur auf der Bühne rumzustehen, während wir auf die bunten Notenpunkte starren, haben die Musiker hier tatsächlich eine Rolle. Ozzy Osbourne taucht als The Guardian Of Metal auf, ein witziger Verkäufertyp, den es regelmäßig zu besuchen gilt, um Auto, Axt oder Gitarre aufzupimpen. Lemmy Kilmister spielt eine Art Schamanen und sogar Rob Halford hat einen Auftritt. Und dann natürlich Jack Black, dessen Hingabe an die Rolle wirklich bewundernswert ist. Jedes Wort darüber, "dem Rock treu zu sein", trieft vor Ehrlichkeit.
Trotz aller Einflüsse, Berühmtheiten und schon existierender Musik steht Brütal Legend stabil auf eigenen Beinen. Die Story über die verschiedenen Gangs, die sich bekämpfen, über das Schicksal des Führers der Menschen und das Dreiecksdrama zwischen Eddie, Ophelia und Lita ist ebenso fesselnd wie in früheren Schafer-Spielen. Die Geschichte schlägt ständig neue Richtungen ein und es ist wirklich bis zum Ende spannend. Und einen der charmantesten Videogame-Küsse seit langem gibt's on top...
Zusätzlich zum tollen Einzelspielerabenteuer gibt es einen Multiplayer, bei dem es um Echtzeit-Strategie und Battlefield-ähnlichen Sprints auf dem Schlachtfeld geht. Gemeinsam mit den Rockern Ironheade, den Dämonen Tainted Coil oder den Grufties Drowning Doom geht's in den Kampf. Wir rüsten eine Armee auf, geben Befehle, Einheiten wie die Headbangers oder die Bouncers zu trainieren oder verteidigen eigene Fan-Geysire. Ressourcen gibt's für Gitarrensoli vor den grün schimmernden Fan-Geysiren, dies erschafft nämlich Merchandisingstände. Entweder sind wir mittendrin am Start und helfen bei den Kämpfen oder benutzen Dämonenflügel, um den Kampf aus der Vogelperspektive zu beobachten. Diese Schlachtfeldsituationen sind erstaunlich tiefgehend und ein überraschender Aspekt. Eddies fröhlich-freche Reaktion, als er diese Flügel erhält, ist übrigens unbezahlbar. Silence, ground walker!
Es muss allerdings erwähnt werden, dass der Schwierigkeitsgrad deutlich ansteigt, so bald diese Spielsituationen auftauchen. Man muss bedeutend mehr Tasten auf Abruf haben und wer Echtzeit-Stress nicht gewohnt ist, wird vermutlich der Meinung sein, dass Brütal Legend an dieser Stelle ordentlich entgleist. Wir schätzen eher den Mut, wie frei hier die Genres gemixt werden. Brütal Legend ist wie ein guter Rocksong mit ständig wechselnden Parts, der ab und zu auch ein wenig von seinem Konsumenten abverlangt.
Negativ fällt nur auf, dass sich die Nebenaufträge zu ähnlich sind und die Geschichte relativ schnell durch ist, wenn man nur dem Hauptstrang folgt. Aber dann geht einem auch der Sinn von Brütal Legend verloren. Am unterhaltsamsten ist es nämlich, wenn die Welt bei der Suche nach neuen Soli fette Metalmucke in krasser Lautstärke erkundet wird. Oder wenn wir Dämonen-Igel mit The Deuce plattfahren oder Wettrennen mit dem komischen, irländischen Dämonen-Lumpen liefert, der Motorenteile als Zähne hat. Mit jedem Sieg wird er saurer und saurer. Hehe...
Hut ab also vor dem kreativen Tim Schafer, dessen einzigartiger Charme jeden Charakter und jeden Ort in Brütal Legend durchdringt. Humor und Originalität in Spielen ist ein schwieriges Thema, aber nicht für diesen Mann. Wer mit Psychonauts und Grim Fandango Spaß hatte, dem wird auch das hier gefallen. Selbst der Smalltalk mit den Nebenfiguren. Es heißt übrigens, dass Schafer die Idee zu Brütal Legend seit vielen Jahre mit sich herumgetragen hat. Diese Phantasie wollte also schon lange herauskommen. Das ist auch fühlbar, denn die Unmengen an kreativen Ideen und die Natürlichkeit des Abenteuers sprudeln geradezu aus dem Spiel heraus. Das heißt nicht, dass es hektisches zu geht, im Gegenteil. Es wurde alles gut eingearbeitet und hat so einen nuancierten Geschmack bekommen. Also, Brütal Legend verdient zwei Mal Daumen hoch! Aber natürlich geben wir ihm den Daumen und den kleinen Finger.