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I Am Alive

I Am Alive

Lange war es still um I Am Alive und plötzlich taucht es nun als Download-Titel wieder auf. Ein wenig Skepsis ist beim Wandel vom Vollpreis- zum Download-Spiel sicher angebracht. Geht es hier um Schadensbegrenzung und Resteverwertung?

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Ein Jahr nachdem die Erde von einer nicht näher erläuterten Katastrophe heimgesucht wurde, erreicht ein namenloser Fremder endlich seine Heimatstadt Haventon. Die Welt liegt in Trümmern und alles ist mit Asche überzogen. Ständig kommt es zu weiteren Erdbeben und giftige Staubstürme wehen durch die Ruinen der Stadt. Nur mit Taschenlampe, Seil und einer ungeladenen Pistole ausgerüstet macht sich der Protagonist auf die Suche nach seiner Familie.

Gleich zu Beginn von I Am Alive wird klar: Die Welt ist ein trister und grauer Ort geworden. Der grobkörnige, staubige Look, in dem fast keine Farben vorkommt, wirkt beklemmend und man wird von einem Gefühl der Einsamkeit durchströmt. Es gibt nur wenige Überlebende und alle kämpfen um die verbliebenen Ressourcen. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren und es kommt sogar zu Kannibalismus.

I Am Alive weist eindeutige Parallelen zu The Road von Cormac McCarthy auf. Der namenlose Mann, die nicht näher erläuterten Ereignisse und die gefährlichen Begegnungen mit anderen Überlebenden dürften vielen aus dem Buch oder der Verfilmung bekannt sein. Das Drama des Überlebenskampfes als Videospiel umzusetzen, ist sicher keine leichte Aufgabe. Erst recht nicht in einem Genre, das über Jahrzehnte Retrys und Continues etabliert hat. Da wird es schwer, die Verzweiflung bei der ständigen Suche nach Nahrung und dem Kampf ums nackte Überleben auch nur annähernd realistisch darzustellen. Genau das ist aber die Stärke von I Am Alive.

I Am Alive
Situationen wie diese erfordern Besonnenheit! Wie sind die Gegner bewaffnet? Wer stellt die größte Bedrohung dar und nicht zuletzt: Wie viel Munition ist in meiner Pistole?
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Munitionsknappheit und das Tappen im Dunklen mit plötzlichen Schockeffekten, wie wir es vom Survial Horror kennen, wirken im Vergleich zu Ubisofts Survial-Spiel wie billige Taschenspielertricks. Es gibt natürlich die obligatorische Taschenlampe und den allgegenwärtigen Munitionsmangel, aber die eigentliche Leistung ist ein ausgeklügeltes Prinzip von Ausdauer und Gesundheit.

Rennen, klettern und der lange Aufenthalt in den giftigen Staubwolken verringern stetig unseren Ausdauerbalken. Der wird zwar auch sehr schnell wieder aufgefüllt, wenn die Belastung vorbei ist. Aber wenn wir uns etwa bei besonders langen Kletterpassagen zu sehr verausgaben, wird er dauerhaft verkürzt und kann sich nicht mehr komplett wieder aufladen. So müssen wir neben dem klassischen Gesundheitsanzeiger, auch immer unsere Ausdauer im Auge behalten. Sonst hat man schnell nicht mal mehr die Puste, um eine kurze Leiter zu erklimmen. So werden die knappen Lebensmittel und Medikamente zu einem wirklich kostbarem Gut. Wenn wir uns mal überanstrengt haben, füllt nur Nahrung unsere Gesundheit auf oder stellt die maximale Ausdauer wieder her. Und das hängt zudem ganz davon ab, welche Art Nahrung wir zu uns nehmen.

Dieser kleine Kniff verwandelt nicht nur die eigentlich schlichten Kletterpassagen in nervenaufreibende und unglaublich spannende Situationen, sondern sorgt mit einem gut durchdachten Save- und Retry-System für echte Überlebensangst. Denn die Zahl der Neuversuche ist auch im normalen Modus begrenzt. Solange wir noch Retrys zur Verfügung haben, wirft uns der Videospieltod nur zum nächsten Checkpoint zurück. Sollten aber alle Neuversuche aufgebraucht sein, muss der komplette Level von vorne gespielt werden und im schweren Survial-Modus heißt es dann gleich: Game Over.

Mit der Rettung von hilfsbedürftigen Überlebenden können wir uns einen kostbaren Neuversuch hinzu verdienen. Der Haken ist allerdings: Die armen Seelen benötigen meistens etwas von unseren knappen Vorräten. So wird eine Art moralisches System implementiert, ohne aufgesetzt zu wirken. Man taucht wirklich schnell in das fiktive Szenario ein.

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In einer Situation etwa habe ich ein prächtiges Stück Fleisch gefunden, das besser als jede andere Nahrungsquelle Gesundheit und Ausdauer wieder hätte auffüllen können. Ich habe es aber nicht angerührt, weil ich den starken Verdacht hatte, es könnte sich um Menschenfleisch handeln. Der Verzehr hätte im Spiel vermutlich nur statistische Konsequenzen gehabt, aber es ging einfach nicht.

In Haventon gibt es natürlich nicht nur Hilfsbedürftige. Jede Begegnung mit Fremden ist gefährlich. Manche der Überlebenden sind nur misstrauisch und wollen ihre Vorräte verteidigen. Wenn man hier ruhig seines Weges geht, sorgt man dafür, dass die Situation nicht eskaliert.

I Am Alive
Ein kleiner Kniff verwandelt nicht nur die eigentlich schlichten Kletterpassagen in nervenaufreibende und unglaublich spannende Situationen.

Man trifft aber auch kleinere Gruppen von Überlebenden, die nicht lange fackeln. Schnell muss besonnen die Situation abgeschätzt werden. Wie sind die Gegner bewaffnet? Wer stellt die größte Bedrohung dar und nicht zuletzt: Wie viel Munition ist in meiner Pistole? Man kann den ersten Gegner ahnungslos näher kommen lassen und mit einem schnellen Machetenhieb erledigen oder mit gezückter Pistole auf Abstand halten, was auch ohne Munition funktioniert. Irgendwann muss die Situation aber aufgelöst werden. Der Überraschungsangriff funktioniert nur einmal und Gegner mit Schusswaffen eröffnen danach sofort das Feuer. Gerangel mit einzelnen Gegnern dauert lange und die verbliebenen Feinde werden nicht tatenlos zusehen.

Man muss die Situation sehr genau analysieren und selbst wenn man die Feinde mit Schusswaffen zuerst erledigt, ist immer noch Vorsicht geboten. Man muss höllisch aufpassen, dass nicht ein anderer die Schusswaffe wieder aufnimmt. Mit gezückter Pistole kann man die Gegner zurückdrängen, um sie dann eventuell in Abgründe oder Lagerfeuer zu stoßen.

Das taktische Stellungsspiel schafft es, sich gleichzeitig langsam und hektisch anzufühlen und zwar einfach, weil der Druck so groß ist. Oft zieht man beim ersten Anzeichen von Bedrohung einfach unüberlegt seine Knarre, obwohl man vielleicht besser erst noch abgewartet hätte. Im späteren Verlauf des Spiels kommt noch ein Jagdbogen dazu, der noch mal andere Möglichkeiten im Kampf eröffnet. Allerdings besitzt man lange Zeit nur einen Pfeil. Den kann man zwar wieder aufnehmen, aber man muss schon sehr aufpassen, wohin man schießt.

Die einzelnen Aufgaben auf der Suche nach unserer Familie sind ziemlich linear, aber das relativ kleine Areal von Haventon, in dem wir uns zur nächsten Mission durchschlagen, ist etwas offener gestaltet. Wir durchqueren einige Gegenden mehrmals und immer wieder eröffnen sich neue Durchgänge, wenn sich die örtlichen Begebenheiten beispielsweise durch Nachbeben verändern.

I Am Alive ist wirklich eine beeindruckende Erfahrung und durchgehend unfassbar spannend, weil man konstant um das nackte Überleben kämpft. Wenn das Spiel ein bisschen länger wäre, hätte I Am Alive sicher auch als Vollpreis-Titel durchgehen können. Aber vermutlich ist die Länge von acht bis zehn Stunden genau richtig, um die großartige Spannung auch zu halten. Der grafische Stil sorgt für eine bedrückende Atmosphäre. Die Unschärfen und das Grobkörnige nerven zeitweise, aber das ist wohl eher Absicht, denn wenn man nach staubigen Passagen in den Straßen endlich wieder ein Hochhaus mit sonnendurchfluteten Büroräumen erklimmt, kann man wirklich erstmal erleichtert durchatmen: I Am Alive!

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
tolle Atmosphäre, großartiges Spielprinzip, das schön einen Überlebenskampf simuliert
-
sehr linear, etwas kurz, atmosphärischer aber eintöniger Grafikstil
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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Eine beeindruckende Erfahrung und durchgehend unfassbar spannend, weil man konstant um das nackte Überleben kämpft.



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